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Schonungslose Ablehnung Krankenkasse lehnt Ohrkorrektur ab und schockt die Eltern

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Walliser Krankenkasse Sodalis hat die Ohrkorrektur eines geistig leicht behinderten Knaben abgelehnt. Das Ablehnungsschreiben hat die Eltern schockiert.
  • Der Vertrauensarzt der Kasse schreibt, der Bub sei wegen seines Grundleidens sowieso in einer «sozialen Aussenseiterposition». Dass es aufgrund von Hänseleien zu einem zusätzlichen psychischen Leiden komme, sei «bei einer Intelligenzminderung» eher unwahrscheinlich.
  • Die Krankenkasse entschuldigt sich in aller Form für den «schwerwiegenden, unbedachten Fehler»: So etwas «darf nicht geschrieben werden», sagt der Geschäftsführer.
  • Die Kosten für die Operation werden als Zeichen der Wiedergutmachung nun doch übernommen.

Der neunjährige Nicolas B. leidet unter einer allgemeinen Entwicklungsstörung. «Man geht davon aus, dass er im Vergleich zu anderen Kindern zwei bis drei Jahre im Rückstand ist», erzählt Vater Martin B. dem SRF-Konsumentenmagazin «Espresso».

Sorge bereitete den Eltern aber vor allem eines: Nicolas wurde aufgrund seines Äusseren von anderen Kindern gehänselt. Die Gspänli machten sich über Nicolas’ stark abstehende Ohren lustig. Um ihn davor zu schützen, wollten sie die Ohren korrigieren lassen. Ein erstes Gesuch um Kostengutsprache bei ihrer Krankenkasse Sodalis wurde jedoch abgelehnt mit der Begründung, es sei keine entsprechende Zusatzversicherung vorhanden.

Porträt eines Jungen, vor und nach der Ohr-Operation.
Legende: Der 9-jährige Nicolas B. vor (l.) und nach (r.) der Ohrkorrektur. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten nun doch. ZVG

Inselspital empfiehlt möglichst rasche Korrektur

Ohrkorrekturen aus ästhetischen Gründen gehören nicht zu den Pflichtleistungen von Krankenkassen. Sofern keine funktionelle Einschränkung vorliegt, müssen sie eine Korrektur nicht übernehmen. Laut einem Bundesgerichtsurteil ist eine Kostenübernahme nur angezeigt, wenn das Kind etwa wegen Hänseleien bereits einen psychischen Schaden hat.

Die Eltern von Nicolas wollten die erste Ablehnung ihrer Krankenkasse nicht hinnehmen. Immerhin ging es um Kosten von rund 4000 Franken. Also liessen sie ihren Sohn an der Universitätsklinik für Kinderheilkunde des Berner Inselspitals untersuchen. Diese hält in einem Bericht, der «Espresso» vorliegt, fest, die zusätzliche soziale Sonderstellung aufgrund seines Äusseren könne «für Nicolas längerfristig zu einer erheblichen Belastung in seiner Persönlichkeitsentwicklung werden». Insofern werde der Wunsch der Familie nach einer operativen Korrektur der Ohren unterstützt. Die Korrektur sei «psychologisch indiziert».

Auszug aus einem Schreiben an die Eltern des betroffenen Kindes.
Legende: Die Stellungnahme des Vertrauensarztes ist ziemlich schonungslos. zvg

«Er ist sowieso in einer Aussenseiter-Position»

Familie B. reichte in der Folge ein zweites Gesuch um Kostengutsprache ein. Auch dieses lehnte Sodalis ab – mit einem Schreiben, das die Eltern schockierte. Darin schreibt der Vertrauensarzt der Kasse, es sei «zu erwarten», dass der Knabe im kindlichen Umfeld gehänselt werde. Wegen seines Grundleidens sei Nicolas jedoch «sowieso in einer sozialen Aussenseiter-Position». Und weiter: «Dass sich das äussere Erscheinungsbild in Richtung einer zusätzlichen psychischen Krankheit entwickeln könnte, ist rein spekulativ und meines Erachtens bei einer Intelligenzminderung eher unwahrscheinlich im Vergleich zu anderen Kindern.»

Mit anderen Worten: Da der Junge ohnehin Aussenseiter und zudem auch weniger intelligent ist als seine Gspänli, wird er kaum unter den Hänseleien leiden. «Dieses Schreiben war für uns mehr als nur ein Schlag ins Gesicht», sagt der Vater. Mit einem Brief beschwerte er sich bei Sodalis. Eine Reaktion blieb jedoch aus.

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«So etwas darf nicht geschrieben werden»

Gegenüber «Espresso» entschuldigt sich Sodalis-Geschäftsführer Robert Kalbermatten nun «in aller Form» für diesen «schwerwiegenden, unbedachten Fehler». Er sei selbst schockiert gewesen, als er das Ablehnungsschreiben gelesen habe. «So etwas darf nicht geschrieben werden.» Man habe die Vertrauensärzte nun darauf hingewiesen, dass Stellungnahmen so verfasst sein müssten, dass sie gegenüber den Versicherten kommuniziert werden könnten – menschenwürdig und nicht verletzend.

Dass Sodalis nicht auf den Beschwerdebrief von Familie B. reagiert hat, habe mit «einer Reihe unglücklicher Umstände» zu tun, sagt Robert Kalbermatten. Es sei nicht die Art des Hauses, solche Schreiben zu ignorieren. Reklamationsschreiben müssten grundsätzlich der Geschäftsleitung vorgelegt werden und würden, wenn nicht von ihm persönlich, so doch mindestens von einem Geschäftsleitungsmitglied, beantwortet. Dies habe er den Mitarbeitenden nun noch einmal kommuniziert.

Der Entscheid, die Ohrkorrektur abzulehnen, sei zwar richtig gewesen. Der Vorstand habe nun aber entschieden, die Kosten im Sinne einer Wiedergutmachung «vollumfänglich» zu übernehmen.

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