Während Bern darüber diskutiert, ob und wie Flüchtlinge an der Grenze kontrolliert werden, sind bereits Tausende Menschen in der Schweiz angekommen – und wohnen hier. Obwohl: Wohnen kann man das oft eigentlich nicht nennen, wenn zwei Dutzend Männer zusammen in einen Raum gepfercht werden und dort Monate lang ausharren müssen, metertief unter der Erde.
Ein Selbstversuch
Doch genau das ist Teil der Schweizer Asyl-Realität: Flüchtlinge im Bunker – ein Alltag fast ohne frische Luft und Tageslicht. SRF-Reporter Fabian von Allmen wollte wissen, wie sich das anfühlt und hat einen Selbstversuch unternommen. Er hat 24 Stunden in einem Bunker verbracht – gemeinsam mit 99 Asylsuchenden.
11.20 Uhr: Als erstes treffen wir Mohammed Ali, Afghane,18-jährig. Dieser spricht sechs Sprachen und ist seit seit 2,5 Monaten im Bunker. Ali, wie sie ihn nennen, zeigt dem Reporter seinen Spind, seinen Besitz. Nur etwas ist ihm aus seinem alten Leben geblieben: «Ich habe nur noch diese Brille, die ich in Pakistan gekauft habe. Sie ist zwar kaputt, aber ich will sie nicht wegschmeissen. Es ist das einzige Erinnerungsstück».
Putzen gegen Langeweile
14.07 Uhr: Drei Mal am Tag ist Putzzeit. Heute putzt Simon Chefena, Eritreer, die Küche. Er ist seit vier Monaten hier. Putzen ist hier eine wichtige Tagesstruktur. Und der Putzlappen eine Waffe im Kampf gegen die Langeweile. «Ja ich mag den Job», sagt Simon Chefena. «Es gibt auch Geld. Drei Franken pro Tag.» Aber drei Franken zusätzlich zu den 9.50 Franken Sozialgeld pro Tag reichen nicht. Deshalb teilten die Eritreer ihr Mahl.
Ungewisse Wartezeit und Langeweile heisst im Bunker, Stunden mit dem Smartphone verbringen. Das Gratis WLAN ist das Fenster in die alte Heimat. Samsom Kiflom, 25, Eritreer, ist im Bunker seit 4 Monaten. Er zeigt mir ein Bild seiner Freundin. «This is my Girlfriend», sagt er.
Dass sein zu Hause jetzt dieser Bunker sei, davon wisse seine Familie aber nichts. «Sie würden nie vermuten, dass es in Europa solche unterirdischen Anlagen gibt. Sie denken, ich leb in einem eigenen Haus. Die Wahrheit mag ich ihnen nicht erzählen.»
Von Albträumen geplagt
22.20 Uhr: Ali Mohammed will dem Reporter zeigen, wo er schläft. «Das ist mein Bett, ja, ich schlafe hier schlecht.» Er teilt sich sein Zimmer mit elf Brüdern, wie sie sich nennen. Oft liege er stundenlang wach. «Ich träume davon, dass sie mir Asyl geben. Dass meine Mama auch kommt. Aber ich habe Angst. Meine Fingerabdrücke sind in Ungarn. Schicken sich mich zurück? Ich wache auf und bin froh, dass ich nur geträumt habe.»
Die einen lassen die wachen Stunden vor dem Fernseher ausklingen, die anderen lernen Deutsch. Kurz nach zwölf löscht der Nachtwächter das Licht. Doch Müdigkeit stellt sich kaum ein. Neonlicht, das Rauschen der Lüftung. Tag und Nacht verschwimmen.
8 Uhr morgens: Nach einer unruhigen Nacht zeigt sich endlich in die Sonne. Die Asylsuchenden drängen hinaus aus auf den Fussballplatz. Eine willkommene Abwechslung. «Draussen was machen ist sehr schön, wenn ich immer nur im Bunker bin, werd' ich krank», sagt Samsom.
«Die schlechte Luft, Platzangst. Fussballspielen tut mir gut.» Kurz nach dem Spiel zieht es die meisten aber schon wieder zurück in den Bunker. Obwohl sie so lange draussen bleiben können, wie sie wollen.
Shoppen mit wenig oder gar kein Geld
11 Uhr morgens: Das wöchentliche House-Meeting steht an. Laura Münger, die Leiterin der Notunterkunft, instruiert: «Die Regel auf der Toilette ist, sie so verlassen, wie ihr sie vorgefunden habt.» Nach der Zurechtweisung ist im Nebenraum Shopping angesagt. Es liegen Spenden und Kleider bereit. Kostenlos. Einmal in der Woche ist indes Zahltag: 66.50 Franken Sozialgeld plus der Zusatzverdienst.
Nach 24 Stunden verlässt der SRF-Reporter die Unterkunft wieder. Wie lange die 99 anderen aber noch im Schein der Neonlichter ausharren müssen, das weiss heute noch niemand.