Für die Westschweizer Kantone ist klar, dass die erste Fremdsprache in der Primarschule eine Landessprache sein muss. Die Gegner des Frühfranzösischen argumentieren unterschiedlich. In der Wirtschaft habe Englisch einen viel höheren Stellenwert meinen die Einen. Für die Anderen sind zwei Fremdsprachen in der Primarschule eine Überforderung der Schüler.
Verena Herzog, Nationalrätin (SVP/TG) stellt fest, dass am Ende der obligatorischen Schulzeit vor allem Mängel beim Schreiben, in der Mathematik und beim Allgemeinwissen bestehen. Die Anforderungen der Wirtschaft für das Berufsleben oder Studium seinen nicht mehr erfüllt. Weil immer mehr in die Schule gepackt werde, müssten Prioritäten gesetzt werden, «was man am Ende der Volksschule im Rucksack haben will».
Matthias Aebischer, Nationalrat (SP/BE) betont, dass wir in einem Land friedlich mit vier verschiedenen Sprachen und Kulturen leben. «Es hat viel mit Respekt zu tun, sich für die Anderen zu interessieren.»
Franz Jaeger, emeritierter Wirtschaftsprofessor an der Universität St. Gallen, sagt, dass die Anforderungen an die Schüler grösser geworden seien. Viele hätten wenig Sprachbegabung, um ohne Überforderung neben dem Schulstoff und mit Deutsch dann noch eine Fremdsprache zu lernen.
Pascal Vonlanthen mit Künstlername «Gustav», bilingue Musiker und Sänger aus Freiburg/Fribourg meint, dass er als Deutschschweizer und damit als «Minderheit in der Minderheit» etwas mehr für seine Wünsche kämpfen müsse. In seinem Projekt «Gustav à l’école» mache er mit Kindern eine Musiklektion mit französischen Liedern. Mit diesem anderen Zugang als in einer Schullektion gelinge der Zugang zur anderen Sprache ungehemmt und unverkrampft.
Nationaler Zusammenhalt dank Frühfranzösisch?
Dass der nationale Zusammenhalt durch die Sprachkenntnisse gewinnt, darüber ist sich die Diskussionsrunde in der «Arena» weitgehend einig. Jaeger findet aber, dass Französisch auf die gleiche Stufe gestellt werden müsse wie Italienisch, allenfalls mit Wahlfreiheit. «Wir müssen von dem Fokus auf Französisch wegkommen, den Röstigraben gibt es nicht mehr. Kontakt kann man auch auf Englisch herstellen.»
Matthias Aebischer kritisiert die ausscherenden Kantone, die Französisch zugunsten von Englisch ersetzen wollen. Der Bildungsartikel (Art. 62 Bundesverfassung) verlange seit 2006 eine Harmonisierung der Schulen.
Die Westschweizer Kantone hätten seit drei Jahren mit dem Plan d’études romand (PER) ihre Hausaufgaben gemacht; jedes Kind lerne ab der 3. Klasse Deutsch. «Wir sind in der Deutschschweiz mit dem Lehrplan 21 gerade daran, und jetzt springen die ersten Kantone ab und die ganze Harmonisierung geht flöten», bedauert Aebischer.
Isabelle Moret, Nationalrätin (FDP/VD), betont, dass dieses Ausscheren nicht nur eine Frage der Sprache sei, sondern auch eine emotionale. «Das heisst auch, dass man uns [Romands] nicht mehr lieb hat.» Früher sei das Welschlandjahr hoch im Kurs gewesen. Als Antwort auf diese veränderten Umstände wäre Frühfranzösisch eine neue Lösung und Chance.
Verena Herzog antwortet Moret, dass der Kanton Thurgau Französisch nicht abschaffen wolle. Aber «wir wollen am Ende der Oberstufe [9. Klasse] ein gleich gutes Französisch wie mit Frühfranzösisch in der Primarschule.»
Für Isabelle Moret (FDP/VD) ist die Schulharmonisierung (HarmoS-Konkordat) erst im Entstehen. Das Ganze habe sich aber zu sehr zu einer politischen Frage entwickelt. Die SVP habe HarmoS in allen Kantonen mit einem Referendum anzugreifen versucht. In vielen Kantonen sei das zu einem Flop geworden, aber «nun versucht die SVP indirekt HarmoS anzugreifen – mit der Abschaffung von Frühfranzösisch».
Ist Frühfranzösisch pädagogisch überhaut sinnvoll?
In die politische Debatte um das Französisch in der Primarschule hat sich auch die Lehrerschaft eingeschaltet. Franziska Peterhans, Zentralsekretärin beim Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer der Schweiz (LCH), begründet den Beschluss vom Mittwoch, nur noch eine Fremdsprache, nämlich Französisch zu unterstützen. Der LCH habe sich mit dem Westschweizer Lehrerverband Syndicat des enseignants romands (SER) zu einer sehr emotionalen Debatte getroffen. «In der Romandie halten sich die Lehrer daran, Deutsch vier Jahre als erste Fremdsprache zu lehren, und in der Deutschschweiz foutiert man sich darum.»
Daraus habe sich beim LCH der Beschluss ergeben, dass eine erste Fremdsprache in der Primarschule eine Landessprache sein müsse. Über Englisch habe man noch nicht diskutiert, ausser dass Englisch als zweite Sprache gelehrt werden solle – aber zuerst eine Landessprache.
Selber Schuld für den Wildwuchs
Im Kanton Schaffhausen habe man nach fünf Jahren mit zwei Fremdsprachen in der Primarschule reichlich Erfahrung sammeln können, sagt Heinz Rether, Primarlehrer und Kantonsrat (GLP/SH). Der Zwang des Sprachenkompromisses (zwei Fremdsprachen in der Primarschule, davon eine Landessprache) war so stark, dass die Widerstände in der Bevölkerung gewachsen seien. Deshalb habe man heute den politischen Wildwuchs in den Kantonen.
Peterhans vom LCH bekräftigt diesen Umstand. Die Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) habe ihre Steuerungsaufgaben nie gemacht, jetzt habe man den Schaden.
Müsste nun der Bundesrat eingreifen? Gemäss dem Bildungsartikel in der Bundesverfassung steht ihm diese Intervention zu. Vehement verwehrt sich Jaeger diesem Vorschlag. Diese Frage müsse in einem dynamischen Prozess geklärt werden, man könne nicht alle Kantone über den gleichen Leisten schlagen.
Dass die EDK in dieser «Arena» nicht vertreten sei, sei zwar nicht gerade ein Skandal, aber doch sehr schade, meint Aebischer. Aber sicher solle nicht der Bund in die kantonale Schulhoheit eingreifen. Aber den Verfassungsartikel 62 gebe es.
Die zwei zentralen Punkte bei der Schulharmonisierung seien der Schulübertritt von Primar- zur Sekundarstufe und die Sprache. Harmonisiert sei nur der Schulübertritt ab der 6. Klasse. «Bei der Sprache hat sich die Situation verschlimmert und hat nichts mehr mit einer Harmonisierung zu tun.»