SRF: Steckt die Politik in einem Dilemma, wenn es um die Umsetzung heikler Initiativen geht?
Verena Diener: Ja. Wir haben in den letzten Jahren zunehmend Initiativen, die inhaltlich einen neuen Charakter aufweisen. Da denke ich einerseits an die Durchsetzungsinitiative der SVP, die sie ihrer Ausschaffungsinitiative hinterhergeschickt haben, bevor das Parlament und der Bundesrat überhaupt in der Lage waren, eine Gesetzgebung zur angenommenen Initiative zu verabschieden. Das ist neu. Und das zweite Problem ist die Frage der Verhältnismässigkeit. Da denke ich an die Steuerinitiative, die eine Rückwirkungsklausel hat. Da stellt sich in der Kommission die Frage, ob eine solch starke Rückwirkung noch verhältnismässig ist.
Braucht es höhere Hürden, bessere Prüfungen für die Initiativen?
Man muss ernsthaft prüfen, ob die Formen der Initiativen nicht präziser in der Bundesverfassung aufgelistet werden müssten. Das Initiativrecht beinhaltet nur wenige Gründe, die zur Ungültigkeitserklärung führen können. Da ist das zwingende Völkerrecht und da ist die Einheit der Form und der Materie. Und wir haben jetzt viele Bereiche, da kann man diese Kriterien nicht mehr einfach nur allgemein beiziehen, sondern wir sind gefordert, präziser zu sagen, wo Initiativen mit unseren Grundrechten in der Verfassung in einen grossen Konflikt geraten.
Die Vorschläge des Bundesrates nach mehr Vorprüfung sind ja im Parlament nicht durchgekommen. In welche Richtung wollen sie mit der Kommission weiterdenken?
Wir werden uns Gedanken machen zu Initiativen, die schon eingereicht wurden und jetzt beim Parlament hängig sind. Das Parlament hat den Auftrag in der Verfassung, auch über die Gültigkeit, Ungültigkeit oder Teilgültigkeit zu befinden. Wir schauen nun, ob wir künftig einen stärkeren Prüfungsbedarf haben. Ich kann mir vorstellen, dass die Diskussion der Staatspolitischen Kommission hier wichtige Hinweise geben wird.
Möglicherweise werden sie auch über Gerüchte diskutieren, wonach sich eine Gruppe der Bundeskanzlei mit verschiedenen Departementen Gedanken über die Volksrechte macht. Wie wollen sie sich da vernetzen?
Der Bundesrat hat die Aufgabe, weiter zu denken. Das ist richtig. Der Einsatz von Expertengruppen ist auch richtig. Wichtig ist, dass man die Gedanken vernetzt und damit zu einer umfassenden Lösung kommt.
Interview: Christine Wanner