Die Einführung der «Fixerstübli», wie die Drogenabgabestellen landläufig bis heute genannt werden, erfolgte eigentlich als Reaktion auf ein Elendsbild in der Stadt Zürich. Ende 1980er- und Anfang 1990er-Jahren sorgte die Drogenszene zunächst auf dem Platzspitz und danach auf dem Bahnhof Letten für internationale Schlagzeilen («The Needle Park»).
Hunderte Drogenabhängige besorgten sich dort ihren Stoff und standen bis zu den Knien im Dreck. Die Beschaffungskriminalität stand auf dem Höhepunkt und die Dealer hatten am Letten das Sagen.
Der Entschluss der Schweiz, 1993 eine pragmatische Drogenpolitik mit ärztlich kontrollierter Heroinabgabe einzuführen, sorgte nicht nur bei den Bürgerlichen, sondern auch weltweit für Aufruhr. Die meisten anderen Länder, die Weltgesundheitsorganisation WHO und die UNO-Drogenkontrollbehörden verfolgten das Experiment mit Argusaugen.
Drogenpolitik mehrmals an der Urne bestätigt
1994 eröffnete die Stadt Zürich an der Badenerstrasse und am Seilergraben zwei Drogenabgabestellen. Damals erhielten 70 therapieresistente Drogenabhängige Heroin oder Methadon. Heute sind es mehr als 200 pro Jahr. In den Anfängen gab es Probleme mit der Belieferung des staatlich hergestellten Stoffes. Die Auslieferung des Heroins erfolgte mit einem gepanzerten Lieferwagen. Denn das pharmazeutische Heroin welches jedes Jahr hergestellt wird, hatte schon damals einen Wert von 200 Millionen Franken.
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Bild 1 von 10. Bereits im April 1992 forderte die SP zum Handeln in der Drogenpolitik auf. Vor dem Bundeshaus und in der Stadt Zürich wurde die Politik mit solchen Plakaten aufgefordert, die Drogensituation in der Schweiz mit verschiedenen Massnahmen zu entschärfen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 10. Die Drogenszene auf dem Zürcher Platzspitz-Areal sorgte für weltweite Schlagzeilen. Zürich wurde wegen der laschen Repression zu oft kritisiert. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 10. Polizeieinsätze auf dem Platzspitz waren an der Tagesordnung. Die Stimmung war sehr explosiv und so reichte manchmal nur ein kurzes Handgemenge, um ein Polizeiaufgebot mit Tränengas- und Gummigeschoss-Einsatz auszulösen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 10. Die Drogen-Kommission des Zürcher Stadtrates mit Robert Neukomm, Emilie Lieberherr und Wolfgang Nigg (v.l) erklären am 30. Oktober 1991 ihre Strategie zur Räumung des Zürcher Platzspitzes. Bis im Sommer 1992 hätte es keine offene Drogenszene mehr geben sollen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 10. Die erneute Entstehung einer offenen Drogenszene am Bahnhof Letten liess das Fass zum Überlaufen bringen. Der Druck auf die Schweizer Politik war zu gross und die kontrollierte Heroinabgabe wurde eingeführt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 10. Auch in der Folgeszene am Bahnhof Letten zu Beginn der 1990er-Jahre kam es oft zu Polizeikontrollen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 10. Die Drogenabgabe erfolgte seit 1994 in geschützten Räumen. Die Süchtigen können das Heroin direkt in Ruhe konsumieren. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 10. Nebst der kontrollierten Heroinabgabe, wurden auch Methadonpräparate (Bild) an Süchtige abgegeben. 1994, als dieses Bild aufgenommen wurde, waren diese Versuche im Rahmen wissenschaftlicher Forschung streng limitiert. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 10. Heute sind die Drogenabgabestellen modern ausgerüstet und gesellschaftlich zu einem gewissen Grad akzeptiert. Bildquelle: Keystone.
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Bild 10 von 10. Die heutige Schweizer Drogenpolitik basiert auf einer Vier-Säulen-System: Prävention, Therapie, Schadensverminderung und Repression – mit Erfolg, wie es scheint. Bildquelle: Keystone.
Mittlerweile wurde die Schweizer Drogenpolitik mehrmals durch das Volk bestätigt und die Bevölkerung erteilte dem Widerstand aus rechtsbürgerlichen Kreisen an der Urne eine Absage. Das letzte eindeutige Ja erfolgte im November 2008. Damals stimmten 68 Prozent für das neue Betäubungsmittelgesetz.
Wenige Nachahmer
Die Bekämpfung von illegalen Drogen basiert seit 1991 auf der so genannten Vier-Säulen-Strategie von Prävention, Therapie, Schadensverminderung und Repression. Ziel war damals von Anfang an die Schliessung von offenen Drogenszenen und die kontrollierte Heroinabgabe. Für Experten ist diese Vier-Säulen-Politik eine Erfolgsgeschichte. Dies hat aber auch Nachteile: Dadurch dass die offene Drogenszene verschwunden ist, verschwindet auch die Drogenproblematik aus dem Fokus der Öffentlichkeit.
Das Interesse vor 20 Jahren war weltweit immens. Zahlreiche Staatsvertreter liessen sich über die Schweizer Drogenpolitik – meist in inoffiziellen Besuchen – informieren. Und dennoch: Die Schweizer Heroinabgabe hat wenig Nachahmer gefunden. Die reguläre Behandlung von Schwerstsüchtigen kennen nur Holland, Deutschland und Dänemark. In Spanien wurde sie aus finanziellen Gründen auf Eis gelegt und in Kanada wurde die staatliche Heroinabgabe sogar gestoppt. Die Gesundheitsministerin meinte jüngst, die Drogenabhängigen sollen es mit Akupunktur versuchen.
Kritik ebbt nicht ab
Dabei gibt das Vier-Säulen-Prinzip der Schweizer Drogenpolitik den Befürwortern Recht. Den Süchtigen geht es besser und sie sind zumeist sozial integriert. Zudem nahm die Beschaffungskriminalität ab.
Trotz breitabgestütztem Betäubungsmittelgesetz ist Hardlinern die kontrollierte Heroinabgabe nach wie vor ein Dorn im Auge. Viele Kritiker bemängeln, dass die heutige Politik den Süchtigen nicht zur Abstinenz animiert.