Die Nerven liegen blank auf der «NZZ»-Redaktion, sagt Brigitte Hürlimann, Präsidentin der «NZZ»-Personalkommission. «Man darf sagen, dass die Mitarbeitenden unter Schock stehen, weil es sich schon um die zweite schlechte Nachricht innerhalb von zwei Wochen handelt.»
Zuerst der Entscheid, die hochmoderne Druckerei der «NZZ» zu schliessen, was 125 Arbeitsplätze kosten könnte. Dann die Absetzung von Chefredaktor Markus Spillmann. Das sind noch nie dagewesene Vorgänge in der über 150-jährigen Geschichte der «Neuen Zürcher Zeitung».
Die grosse Irritation
«Dass das bei einer so gefestigten Institution wie der ‹NZZ› Verunsicherung auslöst, ist eigentlich sehr gut nachvollziehbar», formuliert es Felix E. Müller betont zurückhaltend. Er ist Chefredaktor der «NZZ am Sonntag». Auf Facebook und Twitter sind die Kommentare deutlicher:
«Markus Somm soll Chefredaktor werden – guter Sonntag!» stöhnt etwa eine Redaktorin. «Liberale Werte sind nicht vereinbar mit der Herrliberger SVP», kommentiert ein Kollege. Und ein anderer flüchtet sich in Galgenhumor: «Journalismus ist ein wundervoller Beruf», twittert er, «einfach nicht mit dem falschen Chefredaktor».
Immer wieder wird auch die fehlende Information durch den Verwaltungsrat und das Management beklagt. Eine Kritik, der sich auch Felix E. Müller anschliesst: «Ich denke einfach, dass sehr rasch Sicherheit geschaffen werden sollte, wie es personell publizistisch weitergeht.»
Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod sei im Ausland und nicht erreichbar, hiess es auf Anfrage auch heute, und andere Verwaltungsratsmitglieder geben keine Auskunft. So schiessen Spekulationen um den Namen des neuen Chefredaktors und um die künftige Ausrichtung der «NZZ» ins Kraut.
Aufregung wegen Markus Somm
Stimmt es, dass Markus Somm, Blocher-Biograf und Chefredaktor der SVP-nahen «Basler Zeitung» künftig die «NZZ» leiten soll? War alles bereits beschlossene Sache, aber dann hat die grosse Aufregung in den Medien und in der Öffentlichkeit die Verantwortlichen überrascht?
Möglich wäre es, denn die wenigsten Mitglieder von Management und Verwaltungsrat der «NZZ» sind mit der Schweizer Medien- und Politlandschaft vertraut.
«NZZ», die liberale Institution
In der Schweiz sei die «NZZ» eben nicht bloss eine Zeitung, betont Felix E. Müller, die «NZZ» sei eine Institution: «Die ‹NZZ› verkörpert das Milieu, das eigentlich den modernen Bundesstaat, diese unsere heutige Schweiz, gegründet und geschaffen hat. Und wenn es in dieser Institution grosse oder fundamentale Veränderungen gibt, löst das sofort einen Wellenschlag aus in der Politik, in der Gesellschaft, in der Öffentlichkeit.»
Der liberale Leuchtturm mit einem SVP-nahen Wärter – nicht nur für «NZZ am Sonntag»-Chefredaktor Müller schwer vorstellbar. Mehrere Redaktoren haben dem Vernehmen nach bereits mit der Kündigung gedroht. Aber wird der Einfluss einer einzigen Zeitung nicht masslos überschätzt? Wird eine neue Führung bei der «NZZ» etwa den Ausgang der Nationalratswahlen nächstes Jahr zugunsten der SVP beeinflussen können?
So mittelbar mache der Chefredaktor der «NZZ» nicht Nationalratssitze, weiss auch Felix E. Müller. Er meint aber, dass diese Zeitung immer noch längerfristig gesehen die politische Stimmung in diesem Land beeinflussen, prägen und mitbestimmen kann. «Deswegen ist es nicht egal, was für eine Person an der Spitze dieses Hauses steht.»
Und das sollen nicht ein paar wenige Manager und Wirtschaftsleute bestimmen. Die «NZZ»-Journalisten pochen auf ihr im Redaktionsstatut garantiertes Mitspracherecht bei der Besetzung des Chefredaktoren-Postens. Zudem verlangt die Personalkommission eine ausserordentliche Generalversammlung, an der die Aktionäre befragt werden sollen.
Der abgesetzte und sonst so erklärungsfreudige Chefredaktor Markus Spillmann gibt sich derweil wortkarg. Einen Kürzest-Kommentar auf Twitter konnte er sich aber doch nicht verkneifen: