Das Thema weckt belastende Bilder: Junge, perspektivlose Frauen werden aus ihrer Heimat gelotst, oft mit der Versprechung auf ein besseres Leben in den reichen Industrieländern Westeuropas. Die bittere Realität: ein trostloser Strassenstrich, ein zwielichtiges Bordell, ein Hinterzimmer in einer Wohnbaracke. Rüpelhafte Freier, erbarmungslose Zuhälter. Ein Leben in Entrechtung und willkürlicher Gewalt.
Derartige Exzesse im Rotlichtgewerbe gebe es auch in der Schweiz, sagt Rebecca Angelini von der Zürcher Fachstelle FIZ, Frauenhandel und Migration. Sie sagt auch: Menschenhandel passiert nicht nur im Sexgewerbe. «Auch im Haushalt, in der Landwirtschaft oder im Baugewerbe existiert er.»
Menschenhandel in der Mitte der Gesellschaft
Dies bestätigt auch Alexandra Thalmann von der Kantonspolizei Zürich. Laut der stellvertretenden Dienstchefin der Ermittlungsarbeit «Menschenhandel und Menschenschmuggel» wird ihre Dienststelle auch abseits des Milieus aktiv, etwa im Gastgewerbe, ja sogar in Privathaushalten. So seien etwa bei Kindermädchen und Haushaltshilfen einschlägige Fälle bekannt.
Auch in der Landwirtschaft würden, etwa zur Spargelstechzeit, auf zweifelhaften Wegen Arbeitskräfte rekrutiert, sagt Thalmann. Ein Beispiel: Ein Bauer tritt über einen Kollegen mit einem osteuropäischen Vermittler in Kontakt. Für einen fixen Preis bekommt er Erntehelfer gestellt. «Der Bauer macht nicht einmal etwas falsch. Aber es kann sein, dass diese Leute tagelang bei Schweizer Bauern arbeiten und am Schluss kein Geld erhalten», schildert Thalmann.
Nicht allen ist bewusst, dass sie ausgebeutet werden.
Fälle zur Anzeige zu bringen ist schwierig. Die Betroffenen gäben oft nur widerwillig Auskunft über ihr Schicksal, spricht Thalmann das vielleicht grösste Problem der Ermittlungsarbeit an: «Je nachdem, wo die Frau oder der Mann herkommt, hat die Polizei nicht das beste Ansehen.» Das fehlende Vertrauen in die Staatsgewalt muss erst neu aufgebaut und geschaffen werden, so die Kantonspolizistin.
Erschwerend kommt hinzu: Wo beginnt Menschenhandel? «Das ist in der Tat schwierig. Die Opfer sind meist legal in der Schweiz, oftmals mit einer Arbeitsbewilligung.» Denn vom freien Personenverkehr profitieren mittlerweile auch viele Länder Osteuropas, aus denen eine Vielzahl der Betroffenen kommt.
So liesse sich oft erst durch intensive Gespräche mit mutmasslichen Opfern und nach genauem Hinsehen herausfinden, ob tatsächlich eine Rechtswidrigkeit vorliegt. «Und dafür braucht es ein hohes Mass an Sozialkompetenz, Einfühlungsvermögen Verwaltungsratspräsident Urs Rohnerorbildkanton und Bauchgefühl.» Dieses attestiert Rebecca Angelini von der FIZ den Zürcher Behörden und spricht von einem «Vorbildkanton». Doch andernorts gebe es noch viel zu tun, mahnt sie: «Als Opfer hat man ‹Glück› oder eben Pech, in welchem Kanton man ausgebeutet worden ist.»
Viele Opfer fürchten sich vor den Konsequenzen der Ermittlungen.
Kurios, und auf den zweiten Blick umso tragischer: Eben diese Opferrolle sei manchen gar nicht bewusst, sagt Thalmann: «Die Betroffenen stammen oft aus sehr armen Herkunftsländern, in denen sie keine Zukunftsperspektiven sehen. Meist fehlt es ihnen an Bildung, und sie sind empfänglich für alle möglichen Versprechungen.»
In der Hoffnung auf ein besseres Leben werde vieles in Kauf genommen: Prekäre Anstellungsbedingungen, ein für Schweizer Verhältnisse symbolischer Lohn, totale Ausbeutung. Dies werde allzu oft von Dankbarkeit ausgeblendet, überhaupt eine Arbeit zu haben.
Was tun?
Hier würden die Ermittler Aufklärungsarbeit leisten, sagt Thalmann: «Manche sagen: ‹Für mich stimmt die Situation, es geht mir besser als zuhause.› Etwa auch, wenn Frauen von ihrem eigenen Freund ausgebeutet und auf den Strassenstrich geschickt werden.»
Das Gespräch mit einem Polizisten könne hier tatsächlich dazu führen, dass das Opfer seine Opferrolle erst realisiert. Allerdings müsse fallweise entschieden werden, ob tatsächlich Menschenhandel vorliege. Dies bestätigt auch Angelini von der FIZ: «Man darf nicht alle Sexarbeiterinnen als Opfer betrachten und pauschal von einem Sumpf von Menschenhandel ausgehen.»
Bei bestätigtem Verdacht gelte es jedoch zunächst, das Opfer aus seinem Umfeld herauszuholen. «Viele Opfer fürchten sich vor den Konsequenzen der Ermittlungen. Sie sind stark traumatisiert und müssen vor psychischen und physischen Zugriffen ihrer Peiniger geschützt werden.» Kurz: Die Opfer müssten in Sicherheit gebracht und auf einen allfälligen Prozess vorbereitet werden, schliesst Thalmann.