Während der Bundesrat in der Vergangenheit Verhandlungen mit der EU wie Geheimnisse hütete, legt er jetzt die Ziele offen auf den Tisch. Das ist bemerkenswert. So liegt nun ein siebenseitiger Text auf dem Tisch («Entwurf für Verhandlungsleitlinien»), den jeder und jede nachlesen kann. Dieser «Entwurf» definiert nicht rote Linien, sondern Ziele. Das Dokument ist das Resultat der Sondierungsgespräche der letzten Monate mit der EU und es zeigt auf, wo der Bundesrat noch nachbessern möchte. Die Frage ist, ob es dahinter noch ein anderes Dokument gibt, das eigentliche Mandat, das streng vertraulich ist.
Transparenz erhöht Druck auf die Arbeitgeber
Gleichwohl hat diese Transparenz einen bemerkenswerten Nebeneffekt. Nun ist beispielsweise bei den umstrittenen Lohnschutzmassnahmen klar, dass das, was auf dem Tisch liegt, zu einer Schwächung der heutigen Lohnschutzregeln führen würde. Die achttägige Voranmeldefrist würde auf vier Tage reduziert; die Kautionspflicht wäre weniger griffig; zudem verlangt die EU von der Schweiz Konzessionen bei den Spesenregeln, welche von den Arbeitgebern und den Gewerkschaften kritisiert werden.
Sollte die Schweiz dies alles akzeptieren müssen, bräuchte es innenpolitische Kompensationsmassnahmen. Die Gewerkschaften fordern das schon lange. Die neue Transparenz des Bundesrates erhöht damit den Druck vor allem auf die Arbeitgeber, sich zu bewegen, wenn sie eine Einigung mit der EU wollen, die innenpolitisch von den Gewerkschaften und der SP mitgetragen wird.
«Vergiftetes Weihnachtspaket»
Diese Unterstützung braucht es, denn auch im neuen Mandat sind Elemente drin, die für die SVP inakzeptabel sind (sie schreibt in einem Communiqué von einem «vergifteten Weihnachtspaket») und für manche Parlamentarierinnen und Parlamentarier der politischen Mitte und der FDP schwer zu schlucken sind. Die Rede ist zum Beispiel von den institutionellen Regeln und dabei vor allem vom Streitschlichtungsmechanismus. Die von vielen kritisierte Variante des gescheiterten Rahmenabkommens (ein Schiedsgericht mit einer wichtigen Rolle für den Europäischen Gerichtshof EuGH) kommt auch jetzt wieder zum Zug.
Zwar nicht in einem übergeordneten institutionellen Abkommen, aber in jedem einzelnen Marktzugangsabkommen separat. Das mag vielleicht einfacher zu verkaufen sein, gleichwohl muss der Bundesrat hier noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Denn in Erinnerung bleiben die kritischen Äusserungen von Mitte-Ständeräten oder auch von FDP-Präsident Thierry Burkart gegenüber einer prominenten Rolle des EuGH.
Volk wird letztes Wort haben
Heute äussert sich die FDP, die Partei von Aussenminister Ignazio Cassis, staatstragend; sie lobt den Entscheid des Bundesrates als «wichtigen Schritt in die richtige Richtung». Diese Unterstützung ist für den Bundesrat wichtig. Denn man stelle sich vor, die Verhandlungen würden ein zweites Mal am Widerstand der Parteien und der Sozialpartner scheitern. Wie stünde der Bundesrat dann da?
Deshalb ist der Druck auf den Bundesrat gross, sich mit der EU zu einigen und dabei eine möglichst breite innenpolitische Absicherung anzustreben. Interessant wird dabei auch sein, wie sich die beiden SVP-Bundesräte verhalten, die zentrale Verhandlungsdossiers betreuen. Torpedieren sie die Verhandlungen oder machen sie mit? Bei einem erfolgreichen Abschluss dürfte aber so oder so das Volk das letzte Wort haben und darüber befinden, ob das Resultat im Schweizer Interesse ist oder nicht.