Bei der Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten waren am Ende die Briefwähler das Zünglein an der Waage. Aus einem Vorsprung des FPÖ-Kandidaten machten sie einen knappen Sieg des unabhängigen Kandidaten Alexander Van der Bellen.
Aus dem Lager des Verlierers wurden schnell Stimmen laut, die von Manipulation sprachen. Die bügelte der unterlegene Norbert Hofer dann zwar rasch weg, indem er den Sieg Van der Bellens anerkannte. Allerdings gibt es schon länger Stimmen von Politologen und Verwaltungsjuristen, die die Briefwahl kritisch hinterfragen.
Ihre Argumente:
- keine geheime Wahl – Stimmzettel kann theoretisch zu Hause mit der Familie oder Freunden am Küchentisch ausgefüllt werden
- hohes Manipulationsrisiko – Eltern wählen für ihre Kinder, Kinder für ihre dementen oder pflegebedürftigen Eltern, der Ehemann für die Ehefrau oder umgekehrt
- keine Abgabe der Wahlstimme an einem einheitlichen Stichtag
- keine Möglichkeit für Stimmbürger, die Briefwahl rückgängig zu machen
- höherer Bearbeitungsaufwand für die Verwaltung
Für den Schweizer Politologen Claude Longchamp alles keine Gründe, die Briefwahl generell an den Pranger zu stellen. «Ich sehe keinen Grund, weshalb eine freie, gleiche und geheime Wahl mit der Briefwahl nicht gegeben sein sollte.» Natürlich gebe es auch hierzulande berechtigte Bedenken. Doch sei die Schweiz gänzlich anders gelagert, was die Briefwahl angeht.
Werden die Briefwähler im Unterschied zum «Normalwähler» in Österreich eher im urbanen Stimmvolk und Mitte-Links-Lager verortet, liessen sich diese Unterschiede in der Schweiz so nicht nachweisen. «Die Briefwähler in der Schweiz sind, weil es so viele sind, praktisch identisch mit den Wählenden», sagt Claude Longchamp.
Schweiz bei der Briefwahl ganz vorn
Apropos viele, in Österreich nutzten bei der Bundespräsidentenwahl rund 750'000 Stimmbürger von insgesamt 6,4 Millionen Wahlberechtigten die Möglichkeit der Briefwahl. Das macht knapp 12 Prozent der Wahlberechtigten, beziehungsweise rund 20 Prozent derer, die letztlich ihre Stimme abgegeben haben.
Zahlen, über die man in der Schweiz nur lachen kann. Denn hierzulande liegt der Anteil der Briefwähler in aller Regel deutlich über 80 Prozent, bei den letzten Eidgenössischen Wahlen waren es sogar 86 Prozent. Den Untergang der Demokratie hat deshalb aber noch kein Eidgenosse heraufbeschworen.
Auslandsschweizer forcieren Stimmabgabe per Mausklick
Im Gegenteil, die Schweiz denkt schon einen Schritt weiter. Als nächstes soll das E-Voting kommen. «Im Kanton Genf ist man mit der Realisierung am weitesten», so Longchamp. Das restliche Inland ziere sich noch ein wenig oder habe mit Mängeln im Sicherheitssystem zu kämpfen.
«Am klarsten für die elektronische Stimmabgabe sind die Auslandschweizer und Behindertenorganisationen» – also eigentlich genau die Gruppen, die einst die Briefwahl salonfähig gemacht haben.