Vor elf Jahren hat der Bundesrat die Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat eingereicht, in anderer Besetzung und in einer ungleich weniger angespannten Weltlage. Wiederholt versuchte die SVP seither, den Bundesrat zum Rückzug der Kandidatur aufzufordern – und scheiterte jeweils.
Nun, bevor die UNO-Generalversammlung im Juni die Mitgliedsländer für die Jahre 2023 und 2024 wählt, nahm die SVP einen neuen Anlauf: Mit einer ausserordentlichen Session im Parlament sollte die Kandidatur der Schweiz im letzten Moment verhindert werden.
Die Staatsmaxime der bewaffneten Neutralität hat uns durch die Stürme der Geschichte und unzählige Kriege geführt.
Und die Vertreter der SVP im Rat hielten im Nationalrat mit Kritik nicht zurück. Das Hauptargument gegen den Schweizer Einsitz im UNO-Sicherheitsrat: Diese ritze damit ihre Neutralität. «Dieses vor vielen Jahren in sorglosen Zeiten eingereichte Gesuch soll zurückgezogen werden», sagte SVP-Nationalrat Roger Köppel.
In der aktuellen Weltlage mit Krieg in Europa dürfe die Neutralität der Schweiz nicht aufs Spiel gesetzt werden, so Köppel weiter. «Die Staatsmaxime der bewaffneten Neutralität hat uns durch die Stürme der Geschichte und unzählige Kriege geführt.»
Die Schweiz dürfe sich nicht in fremde Händel einmischen und sich niemals als Partei in Kriege einmischen. «Neutralität ist die bedingungslose Gleichbehandlung aller Parteien.» Die Schweiz müsse auch raus aus dem «Wirtschaftsweltkrieg gegen Russland».
Bundesrat sieht Neutralität nicht gefährdet
Aussenminister Ignazio Cassis verteidigte im Nationalrat die Schweizer Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat. Es sei wichtig, dass sich die Schweiz in multilateralen Versuchen einbringe, den Frieden in der Welt zu fördern – auch im Ukraine-Krieg.
Die Zäsur des Ukraine-Kriegs verändert die europäische Sicherheitsarchitektur. Derzeit ist alles im Fluss, und wir müssen uns in diesem Fluss anpassen – mit unseren starken Prinzipien, darunter auch der Neutralität.
Die Neutralität sei ein zentraler Pfeiler der Schweizer Sicherheit und auch der Guten Dienste, so Cassis weiter. Die Schweiz wolle sich als verlässliche und glaubwürdige Nation im UNO-Sicherheitsrat einbringen. Neutralität dürfe nicht mit Gleichgültigkeit verwechselt werden: «Die Schweiz hat etwa auch eine Resolution unterstützt, die Russland zum Rückzug ihrer Truppen aus der Ukraine aufgefordert hat.»
Die Schweiz beziehe also bereits Stellung in internationalen Konflikten. So habe sie sich auch dafür starkgemacht, dass der UNO-Sicherheitsrat den Krieg in Syrien an den internationalen Strafgerichtshof überweise. Der Sicherheitsrat sei keine Konfliktpartei und entscheide nicht zwischen Krieg und Frieden, schloss der Aussenminister. «Er soll für Frieden und Sicherheit in der Welt sorgen.»
Diverse SVP-Nationalrätinnen und -Räte nutzten das Votum des Bundespräsidenten, um ihm Fragen zu stellen. Cassis sprach mit Blick auf den Krieg in der Ukraine von einer Zeitenwende: «Diese Zäsur verändert die europäische Sicherheitsarchitektur. Derzeit ist alles im Fluss, und wir müssen uns in diesem Fluss anpassen – mit unseren starken Prinzipien, darunter auch der Neutralität.» Die Schweiz gehe – wie schon immer – in die Richtung, die das Volk vorgebe.
Nationalrat stützt Kandidatur
Die anderen Fraktionen im Rat hielten sich mit einer Stellungnahme zurück. Am Ende wurde die Motion der SVP mit 125 zu 56 Stimmen bei 8 Enthaltungen abgelehnt. Ein Fremdeln mit der Schweizer Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat war bei einigen Vertretern der Mitte zu vernehmen: Sie enthielten sich oder stimmten der Forderung der SVP sogar zu.
Anfang nächster Woche befindet der Ständerat über einen gleichlautenden Vorstoss von SVP-Präsident Marco Chiesa.