Anfang Juni wird die Schweiz wahrscheinlich in den UNO-Sicherheitsrat gewählt. Dagegen regt sich Widerstand seitens der SVP. Sie will die Kandidatur stoppen und hat erreicht, dass das Parlament im Frühling eine Sonderdebatte darüber führt. Sie sieht die Neutralität der Schweiz gefährdet. Laurent Goetschel von Swisspeace sieht darin kein Problem.
SRF News: Ein neutrales Land im UNO-Sicherheitsrat, geht das?
Laurent Goetschel: Das widerspricht sich keineswegs. Es gibt andere neutrale Staaten, die auch schon Mitglied des Sicherheitsrats waren, wie Schweden, Österreich oder Finnland. Neutralität ist eine Position, die ein Land wählt, um sich für einen Kriegsfall zu wappnen. Und kollektive Sicherheit ist ein Instrument, um zu verhindern, dass es zu Krieg kommt.
Das liegt vollkommen im Einklang mit den aussen- und sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz.
Im Sicherheitsrat geht es um globale Sicherheitspolitik, um Konflikte zwischen den Grossmächten. Was will die Schweiz da bewirken?
Die Schweiz hat gewisse Werte, für die sie in der internationalen Politik einsteht: der Multilateralismus, also die Bedeutung internationaler Organisationen, und die Bedeutung des Völkerrechts. Gerade für die Schweiz ist eine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat wichtig, um diesen Werten zusätzliche Achtung zu verschaffen. Das liegt vollkommen im Einklang mit ihren aussen- und sicherheitspolitischen Interessen.
SVP-Präsident Marco Chiesa sieht im Sicherheitsrat die globale Machtpolitik im Vordergrund. Kann die Schweiz hier mitmischen?
Das ist nicht ganz so schwarz-weiss. Demokratie, Menschenrechte, all diese Werte sind auch Bestandteil der internationalen Machtkämpfe. Es geht ja bei Macht nicht nur um militärische Überlegenheit, sondern auch um Ideen, Normen, die die internationale Politik gestalten sollen. Und die Schweiz kann, indem sie für diese Werte einsteht, einen Beitrag leisten zur Ausgestaltung der internationalen, auch machtpolitischen Ordnung.
Angenommen, der Sicherheitsrat debattiert über Sanktionen gegen Russland. Moskau würde diese per Veto verhindern. Trotzdem müsste die Schweiz Position beziehen. Mit einer Enthaltung wäre man eher auf Seite Russlands. Wie ginge das mit Neutralität zusammen?
Das würde davon abhängen, in welchem Moment der Sicherheitsrat über solche Sanktionen befinden würde. Wenn es noch nicht zu einem Krieg gekommen wäre, wäre es etwas anderes, als wenn ein allfälliger militärischer Einmarsch in die Ukraine bereits stattgefunden hätte.
Ich gehe davon aus, dass im Falle eines solchen Einmarsches die Schweiz als Mitglied des Sicherheitsrates für Sanktionen stimmen würde. Denn die Schweiz ist gegen Krieg, vor allem, wenn er völkerrechtswidrig ist. In dem Fall gäbe es aus meiner Sicht auch für ein neutrales Land keinen Spielraum, sich zu überlegen, ob man sich enthält oder nicht.
Die Schweiz wird von Russland aufgefordert, im Ukraine-Konflikt Farbe zu bekennen. Das Aussendepartement verweist auf die OSZE. Das zeigt doch: Die neutrale Schweiz kommt in Konflikten ins Rudern?
Alle Staaten kommen bei Konflikten mehr oder weniger ins Rudern. Das sind sehr intensive und schwierige Situationen der internationalen Politik. Im Fall der Ukraine und Russlands ist Aussenminister Cassis offenbar zum Schluss gekommen, dass er jetzt keine eigene unabhängige Meinung der Schweiz kundtun will, sondern das im Rahmen der OSZE noch mit anderen Ländern absprechen möchte. Das ist ein normales Vorgehen. Auch ein neutrales Land kann entscheiden, wie fest es sich mit Staaten und Organisationen absprechen möchte.
Das Gespräch führte Sandro Della Torre.