Die Kurve der täglich gemeldeten Coronafälle kennt derzeit nur eine Richtung: Sie geht steil nach oben. Vergleicht man die Kurve jedoch mit derjenigen der Spitaleintritte, stellt man fest, dass diese deutlich flacher verläuft als in früheren Wellen. Es gibt also derzeit deutlich weniger Spitaleintritte pro 100 gemeldete Coronafälle.
Die Schweizer Politik scheint sich auf diese sich abzeichnende Entkopplung der Fall- und Spitalzahlen zu verlassen und verzichtet bisher auf weitere Massnahmen zur Eindämmung des Virus. Weshalb es weniger Spitaleintritte gibt und ob die Entkopplung reicht, um durch den Winter zukommen – SRF-Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel gibt Auskunft.
SRF News: Die gemeldeten Coronafälle steigen in der fünften Welle auch in der Schweiz stark an. Die Spitaleintritte hingegen steigen im Gegensatz zu früheren Wellen nur leicht. Woran liegt das?
Katrin Zöfel: Die Spitaleintritte steigen immer erst verzögert an. Das hat sich nicht geändert, insofern braucht es noch etwas Zeit, bis man wirklich einschätzen kann, wie stark diese Entkopplung zwischen Fallzahlen und Spitaleintritten tatsächlich ist. Sicher ist: Das Verhältnis von Fallzahlen zu Spitaleinweisung ist besser geworden, aus 1000 Corona-Fällen werden heute weniger Spitaleintritte und Tote als vor einem Jahr.
Ein wichtiger Grund dafür ist die Impfkampagne.
Ein wichtiger Grund dafür ist die Impfkampagne. Dank des Impfens sind diejenigen in der Bevölkerung, die jetzt noch ungeschützt sind, im Schnitt jünger als die Geschützten. Durch ihr jüngeres Alter sind sie bei Infektion einem geringeren Risiko für einen schweren Verlauf ausgesetzt.
Aktuell spielt für das Verhältnis Fallzahlen zu Spitaleintritten aber noch etwas anderes eine Rolle: Es infizieren sich zurzeit immer noch vor allem Junge (10-29-Jährige) und sehr Junge (0-9-Jährige), also Personengruppen, die ein sehr geringes Risiko für eine Hospitalisierung haben. Auch das führt dazu, dass das Verhältnis Fallzahl zu Spitaleinweisung aktuell besser ist. Jetzt steigen aber auch die Infektionen in höheren Altersgruppen wieder an, das wird auch wieder zu mehr Spitaleintritten führen. Wie stark, ist noch schwer abzuschätzen.
Die Schweiz scheint sich auf diese Entkopplung von Fallzahlen und Spitaleintritten zu verlassen. Kommen wir so ohne weitere Massnahmen durch den Winter?
Die ansteckendere und schwerer krank machende Delta-Variante und der nachlassende Immunschutz nach den Impfungen wirken sich auch in der Schweiz aus. Und aktuell hinkt die Schweiz in der Pandemie nur einige wenige Wochen den Nachbarländern Deutschland und Österreich hinterher, aber es ist wahrscheinlich, dass sich die Dynamik auch hier noch verstärken wird. Experten halten angesichts der aktuellen Dynamik eine Überlastung der Spitäler für möglich.
Kann die Boosterimpfung diese Entkopplung beschleunigen?
Die Boosterimpfung kann diese Entkopplung zwischen Fallzahlen und Spitaleinweisungen verstärken. Es wird aber Wochen oder Monate dauern, bis sich dieser Effekt in der breiten Bevölkerung und in den Statistiken bemerkbar machen wird.
Es gibt keine wirklich plausiblen Gründe, warum die Entwicklung in der Schweiz grundsätzlich anders als in Deutschland und Österreich verlaufen sollte.
In Österreich und Deutschland sind in einigen Regionen die Intensivstationen bereits überlastet. Gibt es Gründe, weshalb das in der Schweiz nicht auch passieren sollte?
Es gibt keine wirklich plausiblen Gründe, warum die Entwicklung in der Schweiz grundsätzlich anders verlaufen sollte. Die meisten Faktoren – Durchimpfungsrate, Altersverteilung unter den Geimpften, Witterung und die Dominanz der Delta-Variante – sind gleich oder ähnlich.
Das Gespräch führte Lukas Füglister.