«Wir können nicht länger wegschauen. Denn genau das haben wir bereits viel zu lange getan», sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga am 11. April dieses Jahres. Ehemalige Verdingkinder und Fremdplatzierte hatten sich lange nach diesem Tag gesehnt. Am Gedenkanlass für die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen entschuldigte sich Sommaruga im Namen der Landesregierung bei allen Opfern von Zwangsmassnahmen.
Viele Betroffene schöpften Hoffnung, dass ihr Leid endlich auf politischer Ebene aufgearbeitet wird. Sommaruga lancierte einen Runden Tisch, wo über alle Aspekte gesprochen werden soll. Doch bereits vor dem ersten Zusammentreffen herrscht bei den Opferorganisationen grosse Skepsis.
Rückzug vom Runden Tisch
Walter Zwahlen hat die Konsequenzen bereits gezogen. Sein Verein «netzwerk verdingt», den ehemalige Verdingkinder gegründet haben, verweigert die Teilnahme am Runden Tisch. Die Organisation stört sich insbesondere daran, dass Vertreter der katholischen Kirche am Tisch sitzen – einer Institution, die nicht bereit sei, die Geschichte aufzuarbeiten.
Zwahlen spricht zwar nicht im Namen aller Verdingkinder, doch er leitet deren grösste organisierte Gruppe. «Der Entscheid im Verein fiel einstimmig», sagte er. «Wir setzen uns nicht mit Bremsern, Verhinderern und Laien an den Runden Tisch.»
Der Dialog in dieser Konzeption bringe ihnen nichts, sagt Zwahlen. «Es braucht eine kleine Gruppe mit Experten und Betroffenen, welche die Ziele definiert, nicht ein Palavergremium.» Sein Verein werde nun stattdessen auf der juristischen Schiene fahren.
Verständnis, aber...
Die Skepsis gegenüber den Behördenvertretern ist auch im Verein «Rehabilitierung der administrativ Versorgten» (Ravia) gross. Sie hätten Verständnis für den Rückzug der Verdingkinder-Vertreter. Trotzdem sei ein Austritt aus dem Gremium keine Lösung, sagte Ravia-Präsident Chris Pöschmann. «Wenn wir unsere Anliegen durchsetzen wollen, müssen wir uns am Runden Tisch dafür einsetzen.»
«Das Ungleichgewicht im Gremium löst Angst aus», sagt auch Thomas Huonker, der den Verein Fremdplatziert vertritt. Der Historiker verlangt, dass mehr Betroffene einbezogen werden.
«Das Problem ist, dass viele Betroffene gar nicht oder nur in schwachen Vereinen vertreten sind», sagt Huonker. Demgegenüber seien die «Täterorganisationen» – die Gemeinden, die Heimverbände, die Kirchen, der Bauernstand – finanziell gut ausgerüstet.
Fakt ist: Auf alt Ständerat Hansruedi Stadler wartet viel Arbeit. Als Delegierter für die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen leitet er den Runden Tisch und soll sich um sämtliche offene Fragen in dieser Thematik kümmern.