Die UNHCR kritisiert die Schweiz wegen ihrer Praxis, die Mehrheit der syrischen Asylsuchenden vorläufig aufzunehmen und nur die Minderheit als Flüchtlinge zu anerkennen.
«Das schafft Unsicherheit und Perspektivenlosigkeit»
«Die Schweiz verfolgt gegenüber syrischen Asylsuchenden eine zu restriktive Politik», sagt Anja Klug, Leiterin des UNHCR-Büros für die Schweiz und Liechtenstein, gegenüber der «NZZ am Sonntag». Diese Politik sei «viel restriktiver als in anderen europäischen Staaten.»
Vorläufig Aufgenommene müssten jederzeit damit rechnen, dass sie aus der Schweiz weggewiesen würden. «Das schafft eine grosse Unsicherheit und Perspektivenlosigkeit», fügt Klug hinzu. Zudem dürften vorläufig Aufgenommene das Land nicht von sich aus verlassen und hätten einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt.
«Abschreckungs-Politik»
In fast allen anderen europäischen Ländern würden denn auch deutlich mehr syrische Asylsuchende als Flüchtlinge anerkannt als in der Schweiz, fährt die UNHCR-Vertreterin fort. So liege die entsprechende Anerkennungsquote in Deutschland bei rund 95 Prozent, im Durchschnitt aller europäischen Länder betrage sie 72 Prozent. In der Schweiz dagegen lag sie in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres bei rund 35 Prozent, wie Gaby Szöllösy vom Staatssekretariat für Migration der «NZZ am Sonntag» sagt.
Anwälte, die syrische Asylsuchende vertreten, kritisieren die Praxis der Schweiz ebenfalls. »Das sei eine eigentliche Abschreckungs- und Zermürbungs-Politik», zitiert das Blatt. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) überprüfe zurzeit den Status der vorläufigen Aufnahme. Die Resultate der Überprüfung sollen Ende 2015 veröffentlicht werden, berichtet die Zeitung.
Luzern: Bund muss Kantonen stärker helfen
Derweil signalisieren Kantone, dass sie sich dem vom Bund eingeschlagenen Asylweg anschliessen. Auch der Luzerner Sozialdirektor Guido Graf ist gemäss «SonntagsZeitung» dazu bereit: «Luzern stellt sich seiner Verantwortung», zitiert das Blatt den CVP-Regierungsrat.
Sein Kanton sei bereit, seinen Anteil an den Programmen zu leisten und die 75 beziehungsweise 250 Menschen vom ersten und zweiten Umsiedlungsprogramm zu übernehmen, «sofern auch der Bund stärker» mithelfe.
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Kosten nicht budgetiert
Bei den Hilfen vom Bund denkt er etwa auch an die hohen Kosten, die insbesondere Flüchtlingskinder im Kanton Luzern verursachen. Sozialdirektor Graf veranschaulicht es mit einem Beispiel: «Wir haben bei uns ein elfjähriges Mädchen, das ohne Eltern in die Schweiz kam», erklärt er in der «SonntagsZeitung». Es sei «völlig richtig und wichtig», dass dieses Kind eine umfangreiche Betreuung erhalte.
Doch, solche Programme seien sehr teuer. «Hier können schnell mal Kosten von jährlich 40'000 bis 80'000 Franken entstehen», führt Graf aus, und stellt die Frage: «Wenn plötzlich hundert solcher Flüchtlingskinder in unseren Kanton kämen, was dann?» Dieses Geld, so sagt er gegenüber dem Blatt, sei «nicht budgetiert». Die 1450 Franken im Monat, die Luzern hierfür erhalte, seien zu wenig.
Und auch die einmalige Integrationspauschale von 6000 Franken decke die Auslagen für die Integration eines Flüchtlings nicht, das koste mindestens 20'000 Franken.
FDP-Chef: «Wettbewerb nach unten»
Im Zuge der Flüchtlingskrise fordert nach der SVP auch FDP-Präsident Philipp Müller mehr Personenkontrollen an der Grenze: «Wir dürfen sicher nicht hinter unseren Nachbarn zurückbleiben», betonte er gegenüber der «NZZ am Sonntag». Die europäische Migrationspolitik habe schon immer darauf beruht, dass jedes Land versuchte, «über das Asylrecht für Flüchtlinge möglichst unattraktiv zu sein», fügt er hinzu. Jetzt finde dieser «Wettbewerb nach unten» auch bei den Grenzkontrollen statt. «Darum müssen wir uns den Realitäten stellen und die Grenzkontrollen massiv intensivieren.»
Nötig sei deshalb ein grosszügiger Ausbau sowohl des Grenzwachtkorps als auch des Nachrichtendienstes mit mehr Personal und technischen Hilfsmitteln. Der FDP-Präsident sehe «dies nicht als Absage an das Abkommen von Schengen, das die Reisefreiheit mit den EU-Staaten regelt», schreibt das Blatt weiter. Das Abkommen sehe Personenkontrollen an den Grenzübergängen ausdrücklich vor, «wenn die innere Sicherheit in Gefahr ist».
Und Müller ergänzt: Insgesamt würden für die Schweiz die Vorteile von Schengen überwiegen. «Ohne dieses Abkommen wären unsere Grenzen EU-Aussengrenzen mit rigorosen Kontrollen. Die 1,3 Millionen Grenzübertritte, die wir täglich haben, liessen sich gar nicht mehr abwickeln, es käme zu riesigen Staus.» Die geplante Initiative aus SVP-Kreisen sei deshalb «ein Schuss ins eigene Knie», so Müller.