Er war der direkte Draht von Bern nach Washington, wo Entscheide gefällt werden, die auf der ganzen Welt spürbar sind. Er konnte abtasten, wie die Stimmung in den USA ist in Sachen Steuerstreit mit der Schweiz: Manuel Sager, Schweizer Botschafter in den USA, beginnt seine letzte Arbeitswoche.
Sager vertrat die Schweiz in Washington während der letzten vier Jahre. Präsident Barack Obama traf er nur einmal persönlich, am Anfang, als er sich akkreditiert hat. Das sei normal, sagt Sager, man müsse da realistisch bleiben: «Ich glaube nicht, dass es sehr viele Kollegen hier in Washington gibt, welche die Handynummer des US-Präsidenten haben.»
Böse Überraschungen im Steuerstreit
Doch auch ohne Direktwahl ins Oval Office könne man als Diplomat eines kleinen Landes in Amerikas Hauptstadt etwas bewirken, ist Sager überzeugt. Bei einem konkreten Anliegen, das die Schweiz bis weit hinauf diskutieren wollte, habe man immer «sehr schnell Zugang gefunden», erzählt er. «Das gilt auch für die Verhandlungen im Steuerstreit. Wenn ich eine Frage an die Verhandlungsdelegation des Justizdepartements hatte, erhielt ich meistens innerhalb von Minuten eine Antwort.» Eine Antwort ist aber noch keine Lösung.
Der Steuerstreit zog sich über Jahre hin. Immer, wenn man geglaubt hatte, nun sei alles klar, kam die nächste böse Überraschung: Ein Wechsel bei der amerikanischen Verhandlungsführung, die Klage gegen die Bank Wegelin und die Chefs der Credit Suisse, die vor dem Senat aussagen mussten. Sager, der nun seinen Posten turnusgemäss räumt, wertet die Lösung des Steuerstreits als seinen grössten Erfolg. Man habe durchgesetzt, dass Schweizer Recht nicht gebrochen wurde.
Grundsätzlich ist die Schweiz hoch angesehen in den Vereinigten Staaten. Sie ist einer der grössten Direktinvestoren und vertritt die USA diplomatisch in Iran und auf Kuba. Gleichzeitig kommt es aber alle paar Jahre zu Krisen, die oft zu Dramen ausarten. Beispiele dafür sind die nachrichtenlosen Vermögen, das Offshore-Banking und – noch ungelöst – andere Ansichten, wenn es darum geht, was man legal aus dem Internet runterladen darf.
Botschaften holen Lobby-Firmen an Bord
Eine steigende Zahl Länder setzt in solchen Fällen längst nicht mehr nur auf die diplomatischen Kanäle. Sie holen sich externe Hilfe und engagieren Lobby-Firmen wie die von Jim Fabiani. Er ist einer der einflussreichsten Lobbyisten in Washington. Seine Aufgabe sei es, die offizielle Arbeit der Botschafter zu ergänzen, erklärt er. «Wir können die Kommunikation im Kongress, im Weissen Haus und in den Hauptstädten der Bundesstaaten verbessern. Mein Team kennt die Strippenzieher. Wir können Dinge tun, die ein Botschafter nicht tun kann.»
Im Steuerstreit hätte Fabiani amerikanische Professoren beauftragt, Fachartikel zugunsten der Schweiz zu publizieren. Er hätte informelle Treffen mit Politikern organisiert. Und er hätte dafür gesorgt, dass einflussreiche Personen Gastartikel in wichtigen Zeitungen schreiben. Scheinbar neutrale Stimmen hätten einen grösseren Effekt auf Entscheidungen in Washington, als wenn sich der Botschafter persönlich äussert.
Schweiz plant neue Werbung in Washington
Sager sieht das anders. «Ich bin der festen Überzeugung, dass es für uns im Steuerstreit darum ging, das Problem zu lösen. Wir waren in der Lage, das ohne Lobby-Firma zu tun.» Er ortet allerdings durchaus Verbesserungspotenzial bei der Beziehungspflege.
Vor einigen Jahren hat die Schweiz ihre Denkfabrik Swiss Foundation of World Affairs aus finanziellen Überlegungen eingestellt. Sie hatte die Aufgabe, einflussreichen Amerikanern mit Seminaren, Anlässen und Reisen die Schweiz näher zu bringen. Im Herbst startet in viel kleinerem Rahmen ein neues wissenschaftliches Programm des Woodrow Wilson Centers und der Universität Zürich. Dabei geht es erneut darum, die Schweiz in Washingtons Inner Circle auch ohne aktuelle Krise zu einem Gesprächsthema machen.
Bleibt zum Schluss noch eine Frage: Wo auf einer Einfluss-Skala von 1-10 würde sich der Schweizer Botschafter in Washington selber einstufen? «Das ist für andere einfacher einzustufen, als für mich selber», sagt Sager diplomatisch. Er hoffe, höher als fünf.