Der Bundesrat macht ernst: Er schlägt dem Parlament eine einseitige Schutzklausel für die Steuerung der Zuwanderung aus der EU vor. Er tut dies ohne deren Einverständnis.
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Die Vorschläge des Bundesrates stossen bei den Parteien auf Kritik. SP-Fraktionschef Roger Nordmann sagt: «Es ist völlig ausgeschlossen, dass die SP die einseitige Schutzklausel schluckt. Wir wollen eine einvernehmliche Lösung mit der EU und flankierende Massnahmen im Inland». Auch FDP-Präsident Philippe Müller äussert Kritik: «Der Bundesrat hat heute uralten Wein in neuen Schläuchen präsentiert.» Und die SVP droht sogar mit einer Volksinitiative zur Kündigung des freien Personenverkehrs.
Wenn man die Reaktionen von heute Nachmittag als Nennwert nehme, dann könne man die Vorlage des Bundesrates tatsächlich schon heute abschreiben, sagt SRF-Bundeshausredaktor Philipp Burkhardt. «Aber ich bin nicht sicher, ob hier bereits das letzte Wort gesprochen wurde.» Die Parteien müssten sich überlegen, was die Alternative wäre.
Im Verfassungsartikel zur Masseneinwanderungsinitiative stehe nämlich, dass der Bundesrat selber auf dem Verordnungsweg jährliche Höchstzahlen und Kontingente zur Steuerung der Zuwanderung einführen müsse, wenn sich das Parlament nicht einigen kann. Das wäre ab dem 9. Februar 2017 der Fall.
Hinzu komme, dass der Bundesrat mit der EU in Gesprächen ist. «Mit einer Ablehnung würde das Parlament dem Bundesrat in den Rücken fallen.» Burkhardt hält es für gut möglich, dass sich zumindest Teile des Parlaments bis im Sommer, wenn die Vorlage beraten wird, zusammenraufen werden.
Will der Bundesrat die direkte Demokratie weiterhin ernst nehmen, konnte er zu gar keinem anderen Resultat kommen als dem, was er heute präsentiert hat.
Obwohl der Bundesrat bereits in der Vernehmlassung den harschen Gegenwind zu seinen Ideen gespürt habe, sei er hart geblieben, erklärt Burkhardt. Dessen Vorlage sei verfassungskonform. «Will er die direkte Demokratie weiterhin ernst nehmen, kann er eigentlich zu gar keinem anderen Resultat kommen als dem, was er heute präsentiert hat», sagt Burkhardt.
In einem anderen Punkt habe der Bundesrat aber «weniger durch Stringenz geglänzt» denn er hat heute in Brüssel ein Protokoll unterzeichnet, dass die Personenfreizügigkeit auf Kroatien ausweiten soll. Bisher war der Bundesrat der Auffassung, dass wegen der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) eine Ausweitung einen Verstoss gegen die Verfassung darstelle.
Wesentliches habe sich seither nicht geändert. Immerhin kann man sagen, der Bundesrat ist konsequent, indem er sagt, das Protokoll trete erst in Kraft, wenn er mit der EU eine Lösung für die Steuerung der Zuwanderung gefunden habe. Und die gelte dann natürlich auch für Kroatien.
Keine Reaktionen aus Brüssel
Die EU selber hat kaum auf die Äusserungen aus Bern reagiert. SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck in Brüssel weiss, dass eine gehaltvolle Reaktion vorbereitet worden sei. «Aber heute Nachmittag fiel dann der Entscheid, wenig bis gar nichts zu den Vorschlägen aus Bern verlauten zu lassen.» Offenbar sei das ein politischer Entscheid gewesen, sehr weit oben in der EU-Hierarchie gefällt, im engsten Umfeld von Kommissionschef Jean-Claude Juncker.
Es wäre für die EU taktisch unklug, jetzt mit einer scharfen Reaktion die Debatte in der Schweiz unnötig anzuheizen.
EU-Diplomaten halten zwei mögliche Interpretationen für Brüssels Schweigen für glaubwürdig, so Ramspeck. Zum einen habe sich an der Position der EU nichts geändert. Sie wolle, dass die bilateralen Abkommen erhalten bleiben, so wie sie sind. «Gleichzeitig wäre es für die EU taktisch unklug, jetzt mit einer scharfen Reaktion die Debatte in der Schweiz unnötig anzuheizen.»
Brexit-Paranoia in Brüssel
Bei der zweiten Interpretation geht es um Grossbritannien: «Es gibt hier in Brüssel eine regelrechte Brexit-Paranoia.» Jeder Satz zum Thema Personenfreizügigkeit oder Schutzklausel könnten Argumente für die EU-Gegner in Grossbritannien liefern – knapp vier Monate vor der Abstimmung über einen EU-Austritt. Ramspeck ist überzeugt: «Die Sache ist schon heiss genug, da will man sich nicht noch unnötig die Finger verbrennen.»