In keinem anderen Land leben im Verhältnis zur Grösse und Bevölkerungszahl soviele Kriegsflüchtlinge wie in Libanon. Jeder dritte Einwohner ist dort ein Flüchtling, die meisten stammen aus Syrien. Die Unterbringung der Flüchtlinge ist aber chaotisch. Für die Hilfswerke ist das eine riesige Herausforderung – zum Beispiel für Martin Thalmann vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK).
«Die syrischen Flüchtlinge sind überall»
Der Rot-Kreuz-Delegierte koordiniert von Beirut aus die Hilfe für die syrischen Flüchtlinge. Das Problem dabei: Es existieren keine grossen Flüchtlingscamps. Dementsprechend mussten sich die Flüchtlinge eigene Unterkünfte suchen: «In improvisierten Zeltlagern, am Rande von Feldern, auf Bauernhöfen, in Garagen und Gebäuden, die noch nicht fertig gebaut sind. Sie sind überall im Erscheinungsbild.»
Das mache die Verteilung von Hilfsgütern extrem aufwändig, sagt Thalmann. Deshalb setzt das SRK nun – neben der klassischen Lebensmittelhilfe und der Gesundheitsversorgung – auf Bargeld als Hilfe, mit dem sogenannten Cash-Assistent-System. Das heisst, den besonders hilfsbedürftigen syrischen Familien wird monatlich umgerechnet 175 Franken auf eine Bankkarte geladen.
So könnten die Flüchtlinge die dringendsten Ausgaben selbst erledigen, erklärt Thalmann. «Die Unterstützung wird gebraucht, um die Miete zu zahlen. Auch wenn es nur 50 oder 100 Dollar sind. Oder dann werden der Arzt für die Kinder oder Medikamente bezahlt und Nahrungsmittel eingekauft.» Das SRK überlasse das den Menschen selbst.
Das gebe den Flüchtlingen auch eine gewisse Autonomie und entlaste die Hilfswerksmitarbeiter. Geld mit dieser Bankkarte zu beziehen sei kein Problem, sagt Thalmann. Denn wenn in Libanon etwas funktioniere, dann sei es das dichte Bankomatennetz. Sonst sei der Staat allerdings weitgehend abwesend.
Ein Land ist an seiner Belastungsgrenze
Aufgrund der desolaten Infrastruktur und der wirtschaftlichen Misere im Land nähmen auch die Spannungen gegenüber den Flüchtlingen zu, sagt Thalmann: «Sehr weit entfernt von einem Kollaps sind wir nicht. Es gibt Regionen, etwa der ärmere Norden, wo man schon ziemlich nahe dran ist.» Denn die Anzahl der Flüchtlinge sei immens: «Das bringt Spannungen, die man dort in dieser Art bisher nicht kannte.»
Und trotzdem – noch wollen die Syrer in Libanon bleiben. «In Libanon sind derzeit viele Feld- und Bauarbeiter. Solange es für sie noch eine Möglichkeit gibt, zu arbeiten, haben sie wahrscheinlich noch nicht das Bedürfnis, weiterzuziehen.»
Und schliesslich sei der Libanon ein Nachbarland Syriens, sagt der SRK-Delegierte. Die Heimat liege also in unmittelbarer Nähe. Viele Flüchtlinge hätten deshalb die Hoffnung nicht aufgegeben, bald wieder in ihren Heimatort zurückzukehren.