Nur schon in Zürich existieren mehr als zehn Synagogen oder kleinere Betstuben. Aussenstehende kommen entweder sehr leicht oder sehr schwierig in das Gotteshaus. Denn es gibt Synagogen, die bewacht werden wie eine Botschaft: Sicherheitspersonal mit Stöpsel im Ohr patroullieren auf der Strasse. Ihre Kollegen sitzen im Kommandoraum und überwachen das Geschehen über mehrere Monitoren. Gäste müssen sich ausweisen und den Fragen der Wachleute stellen.
Dann gibt es aber auch Synagogen und Betstuben, da klingelt man einfach an der Türe. Plötzlich wird die Türe aufgerissen, ein Kind steht da und guckt den Fremdling mit grossen Augen an.
Gott schützt die Frommen
Woher stammt diese unterschiedliche Sicherheitsauffassung? Eine mögliche Antwort liegt im Gottesvertrauen einiger Gemeinden. So gehen die jüdisch-orthodoxen Gemeinden davon aus, dass Gott die Welt lenkt und die Frommen schützt. Diese Sichtweise verhindert dann das Hochfahren intensiver Sicherheitsmassnahmen.
Im Gespräch mit den einzelnen Vertretern wird aber immer wieder betont, dass man die Gefahrenlage permanent überwacht und die nötigen Schlüsse daraus zieht. Konkretes erfährt man nicht, niemand lässt sich in die Karten schauen.
Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) ist die Dachorganisation der jüdischen Gemeinden in der Schweiz. Der Generalsekretär, Jonathan Kreutner, zeigt sich im Gespräch schockiert über die Anschläge in Europa: «Bei den Übergriffen in Frankreich und Dänemark wurden Juden angegriffen, nur weil sie Juden sind.»
Diese Dimension sei neu. Die Ängste der jüdischen Bevölkerung zeigen sich auch darin, dass der SIG täglich Anrufe von verunsicherten Juden erhalte. Seine Forderung an die Schweiz fasst er demnach so zusammen: «Wir erwarten von den Behörden, dass sie alles tun, um die Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft zu gewährleisten.»
Kantönligeist verhindert gemeinsame Sicherheitspolitik
Doch ist die Sicherheitslage für Schweizer Juden prekärer geworden? Jemand, der sich mit sicherheitspolitischen Fragen auskennt, ist der versierte Nahost-Journalist Shraga Elam. «Die Gewalttaten in Antwerpen, Paris und Kopenhagen waren offensichtlich Einzelinitiativen. Ob die Schweiz das Ziel des nächsten Anschlages sein könnte, ist Spekulation.»
Für die Sicherheit zuständig ist in erster Linie die Polizei. Der Schutz seiner Bürger gehört zum polizeilichen Grundauftrag. Dass nicht vor jeder Synagoge in der Schweiz ein Polizist steht, hat laut Kreutner auch damit zu tun, dass in der föderalistischen Schweiz 26 verschiedene Kantonskorps existieren. Massnahmen zur erhöhten Gefährdungslage obliegen der jeweiligen Kantonspolizei.
Als zweite Präventivmassnahme wird in vielen jüdischen Gemeinden eigenes Wachpersonal ausgebildet. In manchen Synagogen arbeiten auch ehemalige Soldaten der israelischen Armee. Die Kosten dieses Personals müssen die jüdischen Gemeinden aber selber stemmen. Und das vermögen nur die wenigsten Gemeinden.
Shraga Elam versucht allerdings die aktuelle Sicherheitslage zu relativieren: Glücklicherweise ist in der Schweiz die Hemmschwelle für Gewaltexzesse recht hoch. Im Vergleich ist die Gefahr von Verkehrsunfällen viel grösser. Überreaktion und Panik sind nicht angebracht, sondern sogar kontraproduktiv. Der Brandanschlag auf eine Synagoge in Lugano (vom 14.3.2005) beispielsweise hat bis jetzt keine Nachahmer gefunden.