Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) zeigte sich am Montag empört ob der neuen Zahlen, die das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri präsentierte: Seit sieben Jahren sei nicht mehr so viel Kriegsmaterial aus der Schweiz ausgeführt worden wie im Jahr 2015. Die Schweiz gehöre damit zur Weltspitze der Kriegsmaterialexporteure. Simon Leibundgut, politischer Sekretär der GSoA, hält diese Entwicklung für «skandalös» und fordert einen Exportstopp zumindest für den Nahen Osten.
Grund zum Frohlocken oder eher zum Klagen?
Bei der heutigen Medienkonferenz des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), das für die Bewilligung von Ausfuhrgesuchen zuständig ist, tönte es ganz anders. Von einem Rekord könne keineswegs die Rede sein, wenn dann eher von einem Negativrekord: 2015 seien Güter im Wert von 446,6 Millionen Franken ausgeführt worden, ein Rückgang von satten 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gemäss Simon Plüss, Leiter Rüstungskontrolle beim Seco, sind die Sipri-Zahlen nicht mit der Seco-Statistik vergleichbar. Sipri beziehe sich unter anderem auf Schätzungen und seine Zahlen eigneten sich bestenfalls für einen internationalen Vergleich. Wolle man die Entwicklung in der Schweiz nachvollziehen, sei die Seco-Statistik aussagekräftiger. Und diese spreche eine andere Sprache.
In der Tat: Insgesamt wurde seit 2006 nie so wenig Kriegsmaterial exportiert wie im Jahr 2015. Die lukrativsten Jahre in jüngerer Zeit waren zwischen 2008 und 2012 – damals wurden jeweils Güter im Wert von fast 750 Millionen Franken umgesetzt. Dies zeigt die Zeitreihe aller Exporte seit dem Jahr 2000, die SRF News im Zuge der heute erschienenen Kriegsmaterialstatistik ausgewertet hat. So oder so sei es sinnvoll, eine längere Zeitreihe anzuschauen, da einzelne Grossgeschäfte die Statistik stark beeinflussen können, meint Plüss.
Klar ist: Die Rüstungsindustrie wird sich über die neuen Zahlen des Seco kaum freuen. Sie ist jedoch nur eine Branche von vielen, die derzeit unter dem starken Franken schwächelt. «Exporteure, die nach Europa liefern, kriegen das besonders zu spüren», so Plüss. Den Beweis liefert er gleich mit: Die Exporte von Kriegsmaterial nach Europa haben im Vergleich zum Vorjahr 2014 um rund 30 Prozent abgenommen.
Ein Lichtblick für die Rüstungsindustrie findet sich jedoch in einer Zahl, die an diesem Dienstag im regengrauen Bern kaum Beachtung findet: Das Volumen der im Jahr 2015 neu bewilligten Geschäfte ist um mehr als einen Drittel gestiegen (2015: 769 Millionen Franken, 2014: 568 Millionen Franken) – eine Entwicklung, die sich erst in den kommenden Jahresstatistiken manifestieren wird.
Die Schweizer Exportschlager und ihre Abnehmer
Zu den meist exportierten Gütern gehörten im Jahr 2015 Panzer (unter der Kategorie «Landfahrzeuge»), Fliegerabwehrwaffen (Flab, unter der Kategorie «Waffen aller Kaliber») und dazugehörige Feuerleitgeräte sowie Munition. Es ist die Fortsetzung eines langjährigen Trends: Stets sind es diese Güterkategorien, die seit 15 Jahren im ungefähr gleichen Verhältnis exportiert werden. Obwohl das Seco keine Unternehmensnamen nennt, lässt sich daraus ansatzweise schliessen, welche Unternehmen den Markt seit Jahren dominieren: unter anderem die Firma Mowag (Panzer), die Rheinmetall Air Defence (vormals Oerlikon Contraves, Flab und Feuerleitgeräte) und die Ruag (unter anderem Munition), die dem Bund gehört.
Unter den grössten Abnehmerländern findet sich auch 2015 ein altbekannter Kunde: Deutschland bestellte gepanzerte Radfahrzeuge, Munition und Flugabwehrkomponenten für rund 130 Millionen Franken. Eher neue Kunden sind Indien und Indonesien (jeweils Flab und Feuerleitgeräte für rund 45 Millionen Franken). Zusammen mit Pakistan (Flab für rund 21 Millionen Franken) sind sie für den im langjährigen Trend wachsenden Anteil der Exporte in den asiatischen Raum verantwortlich.
Pakistan, immer wieder in interne und externe Konflikte verwickelt, ist gemäss Simon Plüss vom Seco zudem ein erwähnenswerter Sonderfall. Das Geschäft mit den Fliegerabwehrkanonen sei das einzige, das dank der im März 2014 vom Parlament gelockerten Kriegsmaterialverordnung, bewilligt werden konnte. Ohne diese Lockerung wäre eine Bewilligung nicht möglich gewesen.
Welches Gewicht hat der Nahe Osten?
Viel zu reden gab in den letzten Tagen und Wochen die Haltung der offiziellen Schweiz gegenüber Exporten in den Nahen Osten. Besonders ein Gesuch für ein Geschäft der Mowag, bei dem eine grosse Menge Panzerfahrzeuge nach Katar geliefert werden soll, sorgt beim Bundesrat derzeit für Diskussionen.
Zudem besteht seit März 2015 ein faktisches Moratorium für Exporte nach Saudi-Arabien – auf effektive Ausfuhren im Jahr 2015 hatte dies gemäss Simon Plüss jedoch keine Auswirkung. Vielmehr seien nur die neuen Bewilligungen vorderhand sistiert worden, im März 2015 bereits bewilligte Geschäfte seien nicht betroffen. Es ist damit zu rechnen, dass sich dieses Moratorium erst ab 2016 auswirken wird. Saudi-Arabien ist seit letztem Jahr aktiv in den Jemen-Konflikt involviert, die Lage vor Ort hat sich nicht deutlich gebessert. Ob der Bundesrat dies zum Anlass nimmt, Gesuche weiterhin sistiert zu lassen, bleibt abzuwarten. Das Seco will sich dazu nicht äussern.
Doch: Dass Exporte in den Nahen Osten langfristig keine allzu gewichtige Rolle spielen, zeigt die Auswertung von SRF. In den letzten 16 Jahren machten sie lediglich 13,6 Prozent des Gesamtexportvolumens aus (rund 1 Milliarden Franken von insgesamt 7,8 Milliarden Franken). Anders sieht es bei den sogenannten «Dual-Use- und besonderen militärischen Gütern» aus – dort nahm der Anteil der bewilligten Gesuche in den Nahen Osten stark zu, wie SRF herausgefunden hat.