SRF News: Wie viele Menschen kommen zu Ihnen in die Notfallstation, die wirklich in ein Spital mit teurer Infrastruktur gehören?
Jochen Steinbrenner: Zu uns kommen immer Notfall-Patienten. Der Patient definiert den Notfall, nicht wir. Wenn der Patient das Gefühl hat, dass er Hilfe braucht, sind wir für ihn da.
Man weiss, dass viele Patienten, die in die Notfallstation gehen, am Schluss lediglich mit einem Schmerzmittel oder mit einer Information nach Hause gehen. Wie viele solcher Patienten haben Sie?
Ich schätze, etwa 20 Prozent der Patienten, die zu uns kommen, könnten auch zu einem Hausarzt gehen. Sie sind aber bei uns nicht falsch, wir helfen ihnen genauso wie der Hausarzt.
Laut Krankenkassen sind Notfallstationen oft teurer als Hausärzte, weil schneller Spezialisten zugezogen werden und teilweise unnötige Behandlungen gemacht werden.
Wir versuchen definitiv, die für den Patienten beste Lösung zu finden. Wir können nicht einfach Behandlungen nach Gutdünken machen. Letztendlich entscheiden nicht wir, wer krank oder gesund ist.
Der Patient ist nicht immer imstande zu definieren, welche Behandlung er braucht. Haben da Ärzte nicht sehr viel Spielraum?
Es ist klar, dass der einzelne Patient immer die Maximalvariante möchte. Er will für seine Gesundheit das Beste. Wir klären den Patienten ehrlich auf, welche Behandlung notwendig ist. Es ist wichtig, dass wir Vertrauen schaffen.
Hat nicht betreffend des Vertrauens dem Hausarzt gegenüber eine Praxis einer anonymen Notfallstation den Vorteil, dass Patient und Arzt sich über Jahre kennen?
Wir versuchen, dieses Vertrauen schnell aufzubauen. Dabei gilt: Je dringlicher der Notfall ist, desto schneller müssen und können wir Vertrauen schaffen.
Wie gross ist das Wachstum bei Ihnen in der Notfallstation?
Wir wachsen um zirka 3 bis 5 Prozent pro Jahr. Im Moment haben wir im Notfall jährlich 12‘500 Konsultationen. 2001 waren es noch 4‘500 Fälle. Unser Angebot entspricht offenbar einem Bedürfnis der Bevölkerung.
Die Gründe für dieses Bedürfnis?
Es gibt einen Mangel an Hausärzten. Immer mehr ältere Patienten, die nicht auf ihre Familie zugreifen können, brauchen schnell Hilfe. Patienten wollen zu jeder Uhrzeit medizinische Dienstleistungen erhalten. Und die Zugänglichkeit und Funktionalität der Notfallstationen entsprechen dem Bedürfnis der Patienten. Derzeit wachsen die Kosten im ambulanten Spitalbereich stärker als andere Gesundheitsbereiche.
Würden die ambulanten Spital-Kosten gemäss Ihrer Einschätzung mit der neuen Tarifstruktur – so wie sie die Spitalgemeinschaft H+ vorschlägt – eher sinken oder steigen?
Das kann ich noch nicht sagen. Ich nehme an, die Kosten werden weiterhin steigen, unabhängig vom Tarifsystem. Die wachsenden Kosten sind aber nicht der Fehler der Notfallstationen oder des Gesundheitssystem insgesamt, sondern sie sind ein Abbild unserer Demografie. Es gibt immer mehr ältere Menschen und mehr Bedarf an Behandlungen.
Gemäss neuem System soll es für Ärzte keine Zeitlimiten mehr für die Behandlungen geben. Lädt das nicht dazu ein, als Arzt längere Gespräche zu führen oder mehr Zeit aufzuschreiben?
Wir haben gar keine Zeit, lange Gespräche zu führen. Ausserdem rechnen wir nur ab, was wir an Leistungen erbringen. Das funktioniert auch schon heute. Wir verrechnen, was uns der Tarmed-Katalog vorgibt und müssen alles dokumentieren. Wir haben deshalb auch so gut wie keine Rückweisungen von Kassen im ambulanten Bereich.
Die Kassen sagen, sie können oft schlecht kontrollieren, welche Massnahme wann angebracht ist.
Ich kann dazu nur sagen, dass wir transparent sind. Es ist in unserem Interesse, dass die Patienten so zufrieden wie möglich nach Hause gehen.
Das Gespräch führte Christa Gall.
Sendebezug: SRF 4 News, 11:00 Uhr