Am offizielle 1.-Mai-Umzug in Zürich nahmen rund 14'000 Personen teil – «so viele wie schon lange nicht mehr», wie es von Seiten der Organisatoren hiess.
Auf einem grossen Transparent stand das Motto des diesjährigen Umzugs «Stürmen wir die Festung Europa», wobei Europa durchgestrichen und mit Schweiz ersetzt war. Im offiziellen Umzug waren auch rund 300 Personen von der linksautonomen Szene dabei, wie Stadt- und Kantonspolizei mitteilten. Der bewilligte Umzug verlief friedlich.
Stimmungsmache für den Mindestlohn
Die Gewerkschaften nutzen den diesjährigen 1. Mai, um Werbung zu machen für die Mindestlohn-Initiative. Der Tag der Arbeit steht heuer unter dem Motto «Gute Arbeit. Mindestlohn». Abgestimmt wird am 18. Mai.
An der Spitze hinter dem Transparent «Gute Arbeit - Mindestlohn» marschierte unter anderen SP-Präsident Christian Levrat mit. Er sieht wesentliche Errungenschaften in der Schweiz durch «rückschrittliche und reaktionäre» Kräfte bedroht, wie der Hauptredner auf dem Sechseläutenplatz sagte. Dieser Bedrohung sagte Levrat den Kampf an.
Der SP-Präsident beobachtet in der Schweiz eine «Renaissance von Machotum und Autoritarismus». Diese führe zu einer Absage an die humanitäre Tradition der Schweiz, zu einer Rückkehr des Saisonnierstatuts und sie bringe die Schweiz in Europa in eine «selbstmörderische politische Isolation».
Deshalb müsse diese «rückschrittliche Schweiz» bekämpft werden. Dazu fähig seien jedoch einzig die Kräfte der Linken in Politik, Gewerkschaften und Verbänden. Es sei wichtig, die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zu verteidigen. Dazu gehörten etwa der Service public, die Gleichstellung von Mann und Frau sowie die AHV.
Redner aus Lampedusa: Für eine weltweite Reisefreiheit
Weiterer Redner war der Künstler und Politaktivist Giacomo Sferlazzo von der italienischen Insel Lampedusa. Sferlazzo ersetzte die Bürgermeisterin von Lampedusa, Giuseppina Nicolini, die ihre Teilnahme wegen der angespannten Situation in ihrer Gemeinde abgesagt hatte. Sferlazzo sprach sich in seiner Rede unter anderem für weltweite Reisefreiheit aus.
Sferlazzo wies auf die Unzulänglichkeiten der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik hin. Am Beispiel seiner Heimatgemeinde Lampedusa zeige sich, wie die EU die Migrationspolitik missbrauche, um das Mittelmeer zu militarisieren.
Auch dieses Jahr eine Gegendemo
In Zürich fand auch eine Gegenveranstaltung von Linksaktivisten statt – dies kündete das Aushängeschild der Stadtzürcher Bewegung, Andrea Stauffacher an. In der Vergangenheit ist es im Umfeld dieser Kundgebungen zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen gekommen.
Viele Ladenbesitzer rechnen offensichtlich auch dieses Jahr mit unschönen Szenen. Verschiedene Läden an der Langstrasse verbarrikadierten bereits am Vorabend ihre Schaufenster. Doch es blieb weitgehend ruhig.
Die Demo in Basel verlief friedlich
Auch in Basel haben gegen 1500 Personen an der 1.-Mai-Demonstration der Gewerkschaften teilgenommen. Zentrales Thema war neben der Solidarität die Mindestlohninitiative. Die Demo bei Nieselregen blieb weitgehend friedlich.
An der Kundgebung vor der Kulisse des Basler Rathauses wurde die Lohnsituation thematisiert und dabei geizige Arbeit- und Auftraggeber kritisiert: In der Schweiz müssten Schweizer Löhne bezahlt werden; mit beispielsweise tschechischen Handwerkerlöhnen könne man in der Schweiz schlicht nicht leben, hiess es.
Schweizweit finden um die fünfzig Anlässe statt. Auf der Rednerliste tummeln sich Gewerkschafter und Politikerinnen, und für den kulturellen Rahmen sorgen Musiker und Künstlerinnen jeder erdenklichen Sparte und jeden Alters.
Berset: Ohne sozialen Ausgleich keine starke Wirtschaft
Auf dem Rathausplatz in Thun spricht Bundesrat Alain Berset zur Menge. Seit der Finanzkrise sei für viele die gesellschaftliche Stabilität wieder ein wichtiges Anliegen geworden, sagte Berset. Dabei dürfe nicht vergessen gehen, dass gesellschaftliche Stabilität die Frucht von Arbeit und Auseinandersetzung sei.
«Der soziale Ausgleich gehört, ebenso wie der regionale Ausgleich, zum Fundament der Schweiz», sagte Berset. Ohne sozialen Ausgleich könne es auch keine starke Wirtschaft geben.
SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat den Tag der Arbeit wie schon letztes Jahr nicht hinter dem Rednerpult, sondern unter Arbeitern verbracht. Sie ging auf einen Rundgang in der Werkzeugfabrik Fraisa im solothurnischen Bellach. Danach setzte sie sich mit rund einem Dutzend Mitarbeitenden zu einem Gespräch an einen Tisch und hörte sich dabei die diversen Lebensgeschichten dieser Leute an.
Der oberste Schweizer Gewerkschafter, SP-Ständerat Paul Rechsteiner, wird der Schweiz hingegen am 1. Mai untreu: Er reist nach Deutschland und wird in Nürnberg auf Einladung des Deutschen Gewerkschaftsbunds Mittelfranken eine Rede halten.