Der Kanton Tessin will auf den wachsenden Zustrom von Asylsuchenden reagieren und die Grenze zu Italien schliessen. Diese Äusserung machte der Präsident der Tessiner Regierung, Norman Gobbi von der Lega dei Ticinesi in mehreren Blättern der Sonntagpresse.
Seit Frankreich an der Grenze zu Italien Flüchtlinge nicht mehr einreisen lässt, steigt auch die Zahl der Asylsuchenden in der Schweiz. «Wenn der Andrang der Asylsuchenden aus Italien anhält, müssen wir die Grenze vorübergehend schliessen», wird Gobbi in der «NZZ am Sonntag» zitiert.
Gegenwärtig nimmt das Grenzwachtkorps (GWK) im Tessin jeden Tag 60 bis 70 Personen wegen illegalen Aufenthalts fest. Im Empfangs- und Verfahrenszentrum Chiasso mussten die Behörden deswegen kurzfristig zusätzliche Plätze in Zivilschutzanlagen bereitstellen, schreibt die «Zentralschweiz am Sonntag».
Für Gobbi kann die Schweiz nur mit einer Grenzschliessung Druck auf andere Staaten machen, die «ihren Pflichten nicht nachkommen» würden. «Wir erledigen die Arbeit für Italien und die EU, vor allem bei der Identifizierung der Migranten», sagte der Regierungspräsident der «Schweiz am Sonntag». Das Tessin sei im Asylbereich faktisch die Südgrenze Deutschlands.
Schengen und Dublin funktionieren nicht
Gobbi rechnet für das ganze Jahr 2015 mit bis zu 25‘000 Asylbewerbern alleine in Chiasso. Neben der grossen Zahl von Menschen und den humanitären Problemen habe das auch finanzielle Folgen für den Kanton. Zudem stellten viel Migranten aus Kriegsgebiet ein Sicherheitsrisiko dar. Laut Gobbi verlangen darum die kantonalen Sicherheitsdirektoren mehr Sicherheitskontrollen.
Nach Ansicht der Tessiner Regierung funktioniert das Schengen-Abkommen und die Dublin-Verordnung derzeit nicht. Gobbi kritisiert dabei, dass eigentlich gemäss den Dublin-Regeln das Ankunftsland von Flüchtlingen, also Italien, für die Asylgesuche zuständig sei.
Tatsächlich versuchen aber viele Flüchtlinge von Italien aus in andere Länder weiterzureisen. Darum fordert Gobbi vom Bund mehr Grenzwächter: «Wir müssen ein Zeichen setzten und illegale Einwanderer an der Südgrenze stoppen und zurückweisen.» Das habe die Tessiner Regierung gegenüber Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf deutlich gemacht.
Kein Thema für den Bund
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) teilte schriftlich mit, dass man in engem Kontakt mit den Tessiner Behörden und dem Grenzwachtkorps (GWK) stehe. Eine Wiedereinführung von Grenzkontrollen sei aber gemäss dem Schengener Abkommen nur dann möglich, wenn eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit vorliegt. «Diese Voraussetzungen sind zurzeit nicht erfüllt», schreibt das SEM. Der Entscheid über eine vorübergehende Wiedereinführung der Grenzkontrollen liege grundsätzlich beim Bundesrat.
Als Reaktion auf die Situation im Tessin verstärkt das GWK seine Einsätze an der Schweizer Südgrenze. Dafür wurden zusätzliche Mitarbeiter aus anderen Regionen ins Tessin beordert. Polizei, verschiedene Kantonsbehörden und das GWK bildeten zudem einen Krisenstab.
Engpässe in Chiasso
Dass die Lage im Tessin tatsächlich schwierig ist, belegen die Zahlen der Zollverwaltung und des SEM. Das GWK registrierte in der Region Chiasso von Januar bis Mai 3150 «rechtswidrige Aufenthalter». Dies entspricht 45 Prozent aller an Schweizer Grenzen festgestellten Fälle.
Um den Ansturm abzufedern schuf das SEM in Zusammenarbeit mit den Kantonen auch mehr Unterbringungsplätze für die Flüchtlinge. Im Tessin öffneten kurzfristig drei Zivilschutzanlagen ihre Tore. Dort finden insgesamt rund 150 Personen Unterschlupf. Mehrere Dutzend Personen wurden in andere Empfangszentren gebracht.