In der Schweiz leben gemäss Schätzungen 13‘000 Frauen und Mädchen, die von einer Beschneidung betroffen oder bedroht sind. «Das sind Schätzungen, harte Fakten gibt es nicht», führt Marisa Birri von der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes Schweiz aus. «Die Zahl basiert auf der Anzahl von Mädchen und Frauen aus den betroffenen Ländern und der Vorkommensrate von FGM in diesen Ländern.» FGM steht für Female Genital Mutilation, ein in Fachkreisen gängiger Begriff.
Die Frauenklinik vom Berner Inselspital hat für solche Fälle bereits eine eigene Sprechstunde eingerichtet. Auf Nachfrage von «SRF News Online» suchen dort jährlich 30 bis 40 Frauen mit gynäkologischen Beschwerden Hilfe, in der Geburtshilfe sind es nochmals rund 30 Frauen.
2008: Erster Prozess in der Schweiz
Betroffene Mädchen und Frauen stammen mehrheitlich aus afrikanischen Ländern. Oftmals sind sie bereits beschnitten, wenn sie in die Schweiz kommen. Im Falle einer Beschneidung in der Schweiz hat das Gesetz vorgesorgt: FGM gilt in der Schweiz als schwere Körperverletzung und fällt damit unter das Strafgesetz.
2008 kam es wegen weiblicher Beschneidung zum ersten Schweizer Prozess überhaupt: Somalische Eltern hatten ihre zweijährige Tochter in der Schweiz von einem somalischen Landsmann, der sich auf der Durchreise befand, beschneiden lassen. Die Eltern erhielten damals zwei Jahre bedingt.
Fraglicher Nutzen des neuen Gesetzes
Trotz Strafgesetz: Die Tatsache, dass Mädchen in der Schweiz dafür ins Ausland gebracht werden, bestand weiterhin. Um diese Lücke zu schliessen, hat der Bundesrat per 1. Juli 2012 ein neues Gesetz veranlasst, das den Tatbestand FGM explizit formuliert.
Seit der Einführung des neuen Gesetzes ist es bis jetzt zu keiner weiteren Strafuntersuchung gekommen. Nicht zuletzt weil das Delikt im Verborgenen stattfindet und die Hürden einer Anzeige sehr hoch sind.
Neu können Eingriffe bestraft werden, die auch im Ausland vorgenommen wurden. Strafbar ist auch eine sogenannte Reinfibulation, wie dies aktuell ein Gericht in London behandelt. Unicef Schweiz erwähnt in einem Bericht von 2012, dass Reinfibualtionen auf Wunsch der Frauen auch in der Schweiz vorgenommen wurden.
Solche Anfragen kennt auch Annette Kuhn, Leiterin des Zentrums für Urogynäkologie am Berner Inselspital: «Die Frauen kennen nichts anderes, für sie ist das normal. Wir beraten sie. Auf keinen Fall unterstützen wir eine Wiederzunähung, wenn die Gesundheit der Frau gefährdet ist. Die Geburtsverletzung und Beschneidung im Rahmen der Wunderverletzung versorgen wir natürlich.»
Kulturelle Graben überwinden
Kein Zweifel, das neue Gesetz ist wichtig und hat geholfen, die nationale und kantonale Präventionsarbeit ins Rollen zu bringen. Ganz verhindern kann es FGM nicht. Deshalb ist für Marisa Birri von Terres des Femmes Schweiz mehr Prävention und Aufklärung sehr wichtig: «Prävention hat am Ende auch auf viel mit Integration sowie der Gleichstellung der Frauen zu tun.»
Es gilt, die betroffene Gemeinschaft – im konkreten Fall die Familie zu überzeugen. Ihr Verhalten zu ändern. Die weibliche Beschneidung ist in den Herkunftsländern Teil einer kulturellen Norm. Entziehen sich die Frauen diesem, drohen ihnen Stigmatisierung und Ausgrenzung. Nur mit Überzeugungsarbeit an der Front, davon ist Birri überzeugt, lässt sich eine Besserung erreichen.