Die Bruthitze der vergangenen Tage hat nicht nur den Menschen den Schweiss auf die Stirn getrieben, auch die Tiere lechzten nach Wasser. Besonders durstig müssen die Kühe im Waadtländer Jura gewesen sein – ansonsten wäre zu ihrer Erquickung nicht eigens die Schweizer Armee aufmarschiert.
Anfang Woche haben WK-Soldaten acht Wasserbecken in Betrieb genommen, die via Helikopter fortlaufend mit Wasser aus dem Lac de Joux und dem Neuenburgersee gefüllt werden. Ein Befreiungsschlag für die dortigen Bauern. Sie können sich aus den Becken bedienen und so mehr als 20‘000 Tiere tränken.
Ein Bestandteil des Pflichtenhefts?
Doch wer kommt eigentlich solchen Gesuchen um militärische Hilfe nach? Wie funktionieren diese? Wer bezahlt sie? Und sind sie – im Rahmen des Pflichtenhefts der Armee – überhaupt sinnvoll?
Die Armee unterstützt die zivilen Behörden, wenn deren Mittel nicht mehr ausreichen
Tatsächlich ist der Katastropheneinsatz Teil der schweizerisch militärischen Aufgaben. So steht im Bundesgesetz über die Armee und die Militärverwaltung: «Die Armee (…) unterstützt die zivilen Behörden, wenn deren Mittel nicht mehr ausreichen.» Dies etwa «bei der Bewältigung von (…) ausserordentlichen Lagen, insbesondere von Katastrophen im Inland.»
Kata Hi mit Interpretationsspielraum
Wenn die Ausgestaltung des Kata Hi – des Katastrophenhilfseinsatzes – auch Interpretationsspielraum offen lässt, der Weg des Gesuchs ist streng reguliert. Dazu Urs Müller, Sprecher der Schweizer Armee: «Der Bauer wendet sich an den Kanton und der Kanton an die Territorialregion des Militärs. Diese prüft das Gesuch und leitet es dann an den Führungsstab der Armee weiter.»
Kleine oder spontane ausserordentliche Einsätze ausser Acht gelassen, beschliesse in zwei Dritteln der Fälle letztlich das VBS über den Antrag.
Die offizielle Einordnung einer Aktion als Kata Hi ist dann – wie im aktuellen Falle in der Waadt – auch das Kriterium für deren Finanzierung: Der Einsatz wird, entsprechend deklariert, vollumfänglich vom VBS bezahlt.
Katastrophenhilfe ist stets einsatzbereit
Wie Müller herausstreicht, ist die Katastrophenhilfe ständig in Bereitschaft und wird entweder von WK-Formationen oder Durchdienern wahrgenommen. Jene Kräfte, die derzeit die Bauern mit Wasser versorgen, fehlen also nicht an anderen Orten.
Ob es indes die Truppen begrüssen, wenn sie unverhofft ins Gebirge entsandt werden, um Kühe zu retten? Müller, der selbst jahrelang im Katastrophenhilfebataillon eingeteilt war, sagt: «Die Motivation dieser Truppen ist sehr hoch.»
Auf die Frage, wieviel Image-Pflege mit solchen Katastrophen-Einsätzen betrieben wird, antwortet Müller: «Jeder Einsatz der Armee ist eine Möglichkeit, sich zu zeigen und das eigene Können unter Beweis zu stellen.» Das Zeigen sei aber nicht Selbstzweck, sondern entspreche einem Grundauftrag der Armee, der Existenzsicherung.
Die Einsätze zeigen auf, dass die Armee keine echten Betätigungsfelder mehr hat
Wenn Schweizer Soldaten in der Waadt handfesten Bedürfnissen der Bevölkerung nachkommen, könnte dies die Armee-Kritiker erfreuen – die doch genuin den Sinn und Zweck der Armee in Frage stellen. Das Gegenteil ist der Fall: Lewin Lempert räumt im Namen der GSoA – der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee – zwar ein, dass es einen zivilen Katastrophenschutz brauche.
Doch solle dieser nicht unter dem Dach der Armee laufen. Mehr noch: Für die GSoA zeigen die Einsätze auf, «dass die Armee keine echten Betätigungsfelder mehr hat.»
Auch die Juso ist nicht begeistert
Ähnliche Töne sind von der Juso zu vernehmen. Fabian Molina sagt: «Bei den Einsätzen handelt es sich um eine Arbeitsbeschaffungsmassnahme der Armee, die offensichtlich über zu viel Zeit verfügt. Ansonsten käme sich nicht auf die Idee, etwas zu tun, was nicht in ihrem Aufgabenbereich liegt.»
Um eine heilige Kuh zu retten, ist der Armee und ihren Vertretern offensichtlich jedes Mittel recht
An das Bundesgesetz erinnert, das Kastastrophenhilfen vorsieht, erwidert Molina: «Wenn die Armee immer mehr Aufträge im Inneren übernimmt, ist das rechtsstaatlich problematisch.» Und er schliesst: «Um eine heilige Kuh zu retten, ist der Armee und ihren Vertretern offensichtlich jedes Mittel recht.»
Ob man die Not der 20'000 Kühe als nationale Katastrophe betrachtet oder nicht: Der Einsatz im Waadtländer Jura kommt so gut an, dass er Schule macht. Tatsächlich ist bei der Armee bereits ein zweites Gesuch eingegangen und indessen bewilligt worden. Auch der Kanton Freiburg bittet – im Namen zahlreicher Bauern – die Schweizer Armee um Hilfe für deren Durst leidende Tiere.