Ein schöner Frühlingstag im Botanischen Garten von Neuenburg: An einem Strauch mit violetten Blüten summt und surrt es wie in einem Motor. Bienen laben sich an einer Schneeheide und sammeln Nektar. Verschiedene Bienenarten teilen sich die Blütenpracht: Honigbienen, aber auch Wildbienen wie die Gehörnte Mauerbiene, sind friedlich nebeneinander an der Arbeit. Alles sieht nach heiler Welt aus.
Doch das stimmt nicht ganz. Die Tiere tun sich zwar gegenseitig nichts an, aber sie stehen in Konkurrenz, bei dem aktuell eine Partei auf der Verliererseite steht: die Wildbiene.
Im Botanischen Garten steht Christophe Praz. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Universität Neuenburg und bei Infofauna, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Fauna. Er kennt sich mit Wildbienen aus und sagt: «Es geht ihnen nicht so gut, leider. Die Hälfte der Arten in der Schweiz sind gefährdet, zehn Prozent sind bereits ausgestorben.»
Gründe dafür gibt es laut Praz mehrere: Die Pestizide setzen den Insekten allgemein zu, auch den Wildbienen. Hinzu kommt, dass ihre Lebensräume verschwinden. Und dann kommt er auf die Honigbienen zu sprechen.
Die Hälfte der Arten in der Schweiz sind gefährdet, zehn Prozent sind bereits ausgestorben.
«Sie sind in einem Wettbewerb mit den Wildbienen. Der Grund ist, dass es zu wenig Blütenflächen hat, damit Honig- und Wildbienen nebeneinander ohne Probleme existieren können», so Praz. Die Dichte an Bienenvölkern in der Schweiz sei gross, zu gross aus seiner Sicht.
Dabei hätten beide Arten ihre Daseinsberechtigung. «Die Honigbiene ist heimisch in der Schweiz, sie gehört hierher. Aber jetzt haben wir eine Dichte, die zehn bis 100 Mal höher ist als von der Natur vorgesehen», so der Bienen-Experte.
Imkerboom – vor allem in den Städten
Mit seiner Haltung ist Praz nicht alleine. Mehrere Experten in der Schweiz teilen auf Anfrage diese Haltung. Unterstützt wird sie durch eine Studie, welche das Institut für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) Anfang Frühling 2022 veröffentlicht hat.
«In Schweizer Städten boomt die Imkerei. Doch die unkontrollierte Zunahme von Honigbienen übt zunehmen Druck auf wilde Bestäuber aus und gefährdet damit die städtische Biodiversität», heisst es in der Studie.
Marco Moretti und Joan Casanelles Abella vom WSL haben dafür ein Rechenmodell entwickelt, um die Anzahl Bienenstöcke in 14 Schweizer Städten mit dem dortigen Blütenangebot zu vergleichen.
Dabei haben sie festgestellt, dass sich die Zahl der Stöcke zwischen 2012 und 2018 fast verdreifacht hat: von 3139 auf 9370. Fazit: Die Blütenressourcen dürften nicht ausreichen, um den Bedarf der Honigbienen zu decken. Und: «Die Resultate legen nahe, dass die Imkerei in den Städten besser reguliert werden muss.»
Wer Imker oder Imkerin sein möchte, soll eine Ausbildung machen.
Praz von der Universität Neuenburg sieht das gleich: Er wünscht sich eine weniger starke Dichte an Bienenstöcken in der Schweiz, ein Verbot für Bienenstöcke in Naturschutzgebieten und eine Meldepflicht für jeden Bienenstock, der in der Schweiz aufgestellt wird. Und: «Wer Imker oder Imkerin sein möchte, soll eine Ausbildung machen», so Praz.
Hohe Schweizer Bienendichte
Die Bienendichte in der Schweiz hat auch Agroscope, das Kompetenzzentrum für landwirtschaftliche Forschung, im Auge. Gemäss jüngsten Zahlen aus dem Jahre 2014 beträgt die Dichte in der Schweiz vier Bienenvölker pro Quadratmeter.
Dazu schreibt Agroscope auf seiner Website: «Die Schweiz hat mit durchschnittlich 4.0 Völkern pro Quadratkilometer, Alpen inbegriffen, eine hohe Bienendichte. Durch die flächendeckende geografische Verteilung der Bienenstände ist die Bestäubung der Kultur und Wildpflanzen zum heutigen Zeitpunkt in den meisten Gegenden gewährleistet.» Es gebe aber Kantone mit einer deutlich höheren Dichte wie beispielsweise Basel-Stadt.
Gleichzeitig ist laut Agroscope die Schweizer Dichte eher gross, verglichen mit anderen Ländern (Stand 2010): In Deutschland sind es 1.9 Völker pro Quadratkilometer, in Frankreich 2.5 und in Grossbritannien nur 1.3 Bienenvölker.
Szenenwechsel: Ein Waldrand an der bernisch-solothurnischen Kantonsgrenze. Auch hier summt es. Fünf Bienenstöcke stehen hier. Davor steht ein Schildchen mit dem Kennzeichen BE und einer Nummer.
Das bedeutet: Die Stöcke sind beim Kanton Bern angemeldet. Auffällig ist: Sie sind in einem Abstand von je zehn Metern aufgestellt. «So sehen wir das gerne», erklärt Mathias Götti Limacher, Präsident von Bienen Schweiz, dem Schweizerischen Imkerverband.
Vorschriften ja, aber ...
Er sagt, dass den Imkern die Wildbienen nicht egal sind und der Verband schon länger auf die Problematik hinweise. Den Ruf nach mehr Vorschriften nimmt er entgegen und ist bereit, teilweise darauf einzugehen.
«Auch wir wünschen uns, dass Imkerinnen und Imker mit Fachwissen ihre Arbeit machen.» Eine Ausbildungspflicht möchte Götti Limacher aktiv unterstützen und helfen, politisch durchzusetzen, wie er sagt.
Jede Imkerin und jeder Imker müsste sich mit der Honigbienen-Dichte auseinandersetzen.
Gerade ein Kurs könne auch bei den anderen von Experten angesprochenen Themen hilfreich sein, so der Verbandspräsident. «Eine Ausbildungspflicht würde dazu führen, dass sich jede Imkerin und jeder Imker auch mit dieser Honigbienen-Dichte und dem Standort auseinandersetzen würde. Diese Sensibilisierung würde einiges bewirken.»
Grundsätzlich ist er gegenüber Vorschriften aber etwas skeptisch und möchte lieber auf mehr Information setzen, was schneller gehen würde, da kein Gesetz nötig wäre. Etwas unwohl ist es Mathias Götti Limacher jedoch beim Gedanken, die Anzahl Bienenstöcke in der Schweiz zu reduzieren. «Wenn die Hälfte der Bienenstöcke wegmüsste, so wäre das den Mitgliedern schwierig zu vermitteln.»
Stadt Baden legt Wert auf Imker-Ausbildungen
Nochmals Szenenwechsel: Ein schmuckes Quartier in der Stadt Baden. An einer Kreuzung befindet sich eine kleine Wiese mit einer Sitzbank und Insektenhotels mit kleinen Röhren, Sandflächen und alte Holzäste.
Es ist eine von rund 40 Flächen, welche die Stadt Baden aufgewertet hat, um Wildbienen Lebensraum und Nahrung zu bieten. «Uns ist schon länger bewusst, dass sich Honig- und Wildbienen in Konkurrenz zueinander befinden», erklärt Barbara Finkenbrink, naturwissenschaftliche Fachspezialistin bei der Stadt Baden.
Deshalb hat Baden einerseits solche Flächen installiert und andererseits reguliert sie die Anzahl neuer Bienenstöcke, dort, wo sie kann. Wer anklopft und imkern will, bekommt nicht einfach ein Bewilligung.
«Wir als Stadt legen Wert darauf, dass die Person eine Imkerausbildung hat oder eine Betreuungsperson mit Kenntnissen. Und wir möchten auch, dass sie die Bienenstöcke beim Kanton anmelden. Dann suchen wir einen gemeinsamen Standort, um die Konkurrenz zwischen Bienen und Wildbienen abzufedern», so Finkenbrink.
Ich wünsche mir, dass wir die gleiche Sorgfalt wie bei anderen Nutztieren aufbringen.
Wo beispielsweise bereits eine hohe Dichte an Bienenvölkern besteht, möchte die Stadt keine weiteren aufstellen. Die Fachspezialistin aus Baden befürwortet strengere Vorschriften, wie sie Christoph Praz zusammen mit anderen Wildbienen-Experten fordert.
Denn Bienen würden – wie Hühner oder Schweine auch – einen Nutzen für uns Menschen leisten, erklärt Finkenbrink. «Bienen sind Nutztiere und ich würde mir wünschen, dass wir die gleiche Sorgfalt wie bei anderen Nutztieren bei ihnen auch aufbringen.»
Der Imkerboom alleine sei natürlich nicht Schuld am Hauptproblem, hält Finkenbrink fest. «Diese Arten stehen unter Druck, weil wir grundsätzlich eine andere Form der Landwirtschaft benötigen, und zwar mit einer ganz anderen Form von Spritzmittelverwendungen», gibt sie zu bedenken.