Im vierten Untergeschoss eines Bürobaus in einem Berner Vorort: Historiker Samuel Bachmann breitet Objekte aus Namibia auf einem Tresen aus. Kopfschmuck, Armringe, einen abgeschnittener Haarzopf, einen abgelaufener Kinderschuh. All diese Objekte wurden zu einer dunklen Zeit gesammelt. Es war die Zeit des Völkermordes an den Herero und Nama in Namibia.
In den letzten Monaten hat das Bernische Historische Museum die hauseigene ethnografische Sammlung durchleuchtet. Das Ziel: Die Verflechtung der Schweiz mit dem Kolonialismus aufdecken. Aus Namibia stammen mehrere 100 Objekte. Im Zuge seiner Forschung stiess Historiker Bachmann auch auf den Sammler Victor Solioz.
Solioz baute im Auftrag des Kaiserreichs an einer Eisenbahnlinie. Die Bahn führte von den Kupferminen bis ans Meer, quer durchs Gebiet der Herero. Die Herero begehrten auf, der Aufstand wurde niedergeschlagen, die Gewalt eskalierte in einen Völkermord – während Solioz im Auftrag des Museums allerlei Gegenstände bis hin zu menschlichen Überresten sammelte. «Wir haben Belege gefunden, dass Solioz loyal zur Besatzungsmacht war und ihr Vorgehen befürwortete», sagt der Historiker. Andererseits habe sich Solioz für die Rechte der Ortsansässigen eingesetzt, die beim Bau der Eisenbahn mitarbeiteten.
Doch wie sind Sammler wie Solioz in den Besitz der Objekte gekommen? Diese Frage führte Bachmann bis nach Namibia, in die dortigen Archive und zu den Gemeinschaften. Konkrete Belege zur Beschaffung fand er fast keine. Dafür viele Hinweise: «Man konnte in Namibia komplette Herero-Sammlungen kaufen.» Oft stammten die Sammlungen aus Haushalten von getöteten oder vertriebenen Familien.
Mit Victor Solioz habe das historische Museum ein für die Schweiz typisches Beispiel gefunden, sagt Julia Tischler, Professorin für die Geschichte Afrikas an der Universität Basel: «Solioz stand mitten im Kolonialismus, auch wenn er sich vielleicht selbst gar nicht als kolonialer Akteur wahrgenommen hat.»
Nicht die einzige Sammlung
Gegenstände aus Namibia gibt es nicht nur in Bern, sondern in fast allen ethnografischen Sammlungen in öffentlichen Schweizer Museen. Sie stammen von Unternehmern, Missionaren, teils gar von deutschen Offizieren. Mit der Herkunftsforschung wurde in den meisten Museen begonnen, sie ist aber nicht abgeschlossen.
Was soll nun geschehen mit den Sammlungen? Der Verband der Schweizer Museen fordert eine konsequente «Dekolonialisierung». Heisst: Herkunft und Erwerb aufdecken und wiedergutmachen. Dazu müssten die Museen Kontakte in die Herkunftsländer knüpfen, so Tischler: «Die Museen müssen vor Ort Ansprechpartner finden, die man als Besitzer benennen kann.»
In Kontakt mit Namibia
In Bern hat man begonnen, ein Netzwerk mit namibischen Akteuren und Institutionen aufzubauen. Eben erst war die Direktorin der Museum Association of Namibia, Ndapewoshali Ashipala, zu Besuch im Museum. Es gebe in Namibia viele unterschiedliche Meinungen, was mit solchen Sammlungen passieren solle. «Aber generell wollen die Leute Zugang zu diesen Sammlungen haben», so Ashipala.
«Es gibt viele Möglichkeiten, was mit den Objekten passieren kann», sagt auch Samuel Bachmann vom Museum. Er kann sich Ausstellungen, Publikationen, Forschungsarbeit vorstellen. «Für uns ist wichtig, diese Fragen mit Partnern in Namibia zu besprechen.» Auch, dass die Objekte zurückreisen, sei eine Option.