Ende Mai trat Stefan Kuster erstmals in seiner neuen Funktion als Nachfolger von Daniel Koch vor die Medien. Ruhig und sachlich referierte der 43-jährige Ostschweizer und platzierte wenn immer möglich eine positive Botschaft.
So auch jetzt, in einem Sitzungszimmer des Bundesamtes für Gesundheit: Fallzahlen um 50 pro Tag wären super gewesen – nun seien sie zwar höher, aber dank dem Engagement der Kantone stabil: «Die Fallzahlen an sich machen mir keine Sorgen. Aber wir haben natürlich die Herausforderung des Präventionsparadoxes: Wenn man etwas gut macht, ist es nicht mehr da – speziell bei diesen Erkrankungen. Und wenn es nicht mehr da ist, nimmt man es nicht mehr wahr.»
Wenn man etwas gut macht, ist es nicht mehr da. Und wenn es nicht mehr da ist, nimmt man es nicht mehr wahr.
Kurz: Der Arzt und Infektionsspezialist befürchtet, dass die Disziplin der Bevölkerung jetzt nachlässt. Ausgerechnet in einer Zeit, in welcher viele unterwegs sind und Ferien machen. Von einer zweiten Welle will er nicht sprechen. Diese – so hofft er – werde gar nie kommen – auch wenn ihn die «NZZ» als «den Mann für die zweite Welle» beschrieben hat.
Bei Symptomen reagieren
Zwar gibt es ihm zu denken, dass junge Menschen trotz Symptomen im Club feiern. Das zu verhindern, sei schwierig. Man sei es sich einfach nicht gewohnt, bei leichten respiratorischen Symptomen gleich zu Hause zu bleiben, keine Freunde zu treffen und nicht am Arbeitsplatz zu erscheinen.
Kuster betont: «Diese Verhaltensänderung müssen wir unbedingt mit Blick auf Herbst und Winter hinkriegen, dass es gesellschaftlich akzeptiert und gewollt ist, dass man sich mit Symptomen nicht ausser Haus bewegt.»
Diese Verhaltensänderung müssen wir unbedingt mit Blick auf Herbst und Winter hinkriegen.
Vorerst aber ist Kusters Agenda mit Sitzungsterminen gefüllt, denn es braucht auch in der aktuellen Lage viel Koordination. Ausserdem wird das Mandat der wissenschaftlichen Covid-Task-Force angepasst und besser in die BAG-Organisation integriert.
Braucht es eine klarere Linie der Behörden?
In den vergangenen Wochen und Monaten hatten sich Mitglieder der Task-Force wiederholt kritisch oder warnend zu Entscheiden der Behörden geäussert. Sie hätten etwa langsamer gelockert und geöffnet.
Wird sich das nun ändern, so dass Beamte und Expertinnen eine klare Linie vertreten? Er sei sich nicht sicher, ob es eine klarere Linie brauche, sagt Kuster: «Es braucht die verschiedenen Positionen. Und es braucht auch diesen Austausch und manchmal dieses Seilziehen, um die richtige, gesellschaftlich am besten verankerte Lösung zu finden.»
Und es braucht auch diesen Austausch und manchmal dieses Seilziehen, um die richtige, gesellschaftlich am besten verankerte Lösung zu finden.»
Dass er seine neue Stelle starten konnte, während die mediale Aufmerksamkeit auf Daniel Koch lag, sieht er als Chance. Dass sein Vorgänger jetzt noch ab und zu ein lustiges Filmchen veröffentlicht, helfe der Sache, sagt Kuster.
Corona – ein besonderer Reiz
Was ihn in Bern erwarten würde, konnte er so nicht ahnen, als er sich für die Koch-Nachfolge als Leiter der Abteilung übertragbare Krankheiten interessierte. Damals war er leitender Arzt auf der Abteilung für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Unispital Zürich: «Statistisch gesehen kann eine solche Pandemie alle paar Jahrzehnte auftreten. Dass es so schnell kam, hätte ich nicht gedacht.»
An sich gäbe es noch genügend andere Aufgaben für seine Abteilung: Antibiotikaresistenzen, Spitalinfektionen, HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten. Doch Kusters Alltag wird noch bis auf weiteres vom Coronavirus geprägt sein: «Als Spezialist für Infektionskrankheiten würde ich lügen, wenn ich sagen würde, das übe nicht einen besonderen Reiz auf mich aus.»