Bei der Reform der Altersvorsorge hat der Nationalrat wichtige Entscheide gefällt. Der Umwandlungssatz, mit dem die Höhe der Pensionskassenrente berechnet wird, sinkt von 6,8 Prozent auf 6 Prozent. Zur Finanzierung der AHV will der Nationalrat die Mehrwertsteuer in zwei Schritten um 0,6 Prozent erhöhen. Zudem soll das Rentenalter auf 67 erhöht werden, sobald die AHV in finanzielle Schieflage gerät.
SRF News: Kann die Zukunft der AHV mit den beschlossenen Massnahmen gesichert werden?
Dominik Meier: Theoretisch ja wegen der Stabilisierungsregel. Das heisst, wenn die AHV in Schieflage gerät, wird das Rentenalter auf 67 erhöht. Nach heutigem Stand müsste das Rentenalter diesem Konzept zufolge nach 2030 steigen und die Finanzen wären damit Schritt gesichert. Aber das sind politische Sandkastenspiele, denn das Rentenalter 67 ist politisch längst nicht durch. Auch der Nationalrat hat heute entschieden, erst müsse die Politik noch versuchen, andere Wege zu finden, um die AHV zu sichern.
Hat dieser Stabilisierungsmechanismus Chancen, politisch zu bestehen?
Da habe ich meine Zweifel. Im Ständerat hat Mitte-links eine Mehrheit. Sie könnte den Mechanismus wieder streichen. Aber der Nationalrat hat heute die Chancen für diesen Automatismus mit einem taktischen Kniff erhöht: Er hat die Rentenalterfrage vom Rest der Rentenreform abgekoppelt. Bei einer Volksabstimmung würde ein Nein zum Mechanismus Rentenalter 67 nicht die ganze Reform abstürzen lassen. Diese neue Ausgangslage verbessert die Chancen des Modells auch im Ständerat. Dennoch glaube ich eher an ein Nein aus der Kleinen Kammer.
Eine Alternative, um die AHV zu sanieren wäre, die Mehrwertsteuer stärker zu erhöhen.
Das ist richtig. Der Bundesrat möchte das auch. Aber es hat sich jetzt gezeigt: Mehr als 0,6 oder 1 Prozentpunkt zusätzlich Mehrwertsteuer ist im Parlament nicht mehrheitsfähig. Der Widerstand aus der Wirtschaft ist massiv.
Auch die Senkung des Umwandlungssatzes bei der Pensionskasse hat im Nationalrat zu streiten gegeben. Pro gespartem Rentenfranken wird weniger Monatsrente überwiesen. Wäre mit diesem Schritt die zweite Säule saniert?
Der grösste Druck wäre tatsächlich weg. Es ist erstaunlich: Die Linke hat sich heute eher pro forma gegen den tieferen Umwandlungssatz und damit tiefere Monatsrenten gewehrt. Die Lebenserwartung steigt, Pensionskassengelder werfen kaum mehr Renditen ab. Das sind wirklich schlagende Argumente. Der Konflikt hat sich auf die Frage verlagert, wie die Einbussen bei den Monatsrenten der Pensionskassen kompensiert werden könnten.
Der Nationalrat sprach sich für ein Konzept aus, das ganz neu auf den Tisch gekommen ist.
Ja, am Wochenende hat die FDP ein völlig neues Modell auf den Tisch gelegt. Es war eher eine Hauruckübung und nicht die Regel im Bundeshaus. Dennoch ist das Konzept beschlossen. Damit müssen die Erwerbstätigen deutlich mehr von ihrem Lohn an die Pensionskasse abliefern als heute. So sollen sie bis zum Pensionsalter mehr Geld ansparen. Dann hätte die Kürzung bei den Monatsrenten in Franken keinen Effekt mehr und würde ausgeglichen.
Der Ständerat will die tieferen Renten anders abfedern. Er schlägt vor, die AHV um 70 Franken zu erhöhen. Was sind die Vor- und Nachteile der beiden Konzepte?
Die AHV-Lösung 70 Franken hat zwei Nachteile: Sie ist am Anfang eher günstig, wird aber über die Jahre immer teurer. Spätestens 2030 wäre sie sehr teuer. Und von 70 Franken mehr AHV im Monat hätten ausgerechnet Leute mit tiefen Renten wenig bis nichts. Ihnen würden einfach die Ergänzungsleistungen um diese 70 Franken gekürzt. Aber auch das Modell, das der Nationalrat heute angenommen hat, birgt gewichtige Nachteile. Deutlich mehr einzuzahlen, belastet die Unternehmen, die ja mitzahlen, und die Erwerbstätigen. Besonders die Jungen kämen stark an die Kasse. Ein 34-Jähriger mit einem Jahreseinkommen müsste mit diesem Modell jährlich 1500 Franken mehr für die Altersvorsorge einzahlen.
Die Köpfe hinter den AHV-Reformen
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Bild 1 von 6. Walther Stampfli (FDP) gilt als Vater der AHV. Sein Gesetzesentwurf von 1944 wird Ende 1946 von der Bundesversammlung angenommen. Im Juli tritt das Gesetz in Kraft, nachdem ein Referendum der konservativen Rechten scheitert. Seither wird jedem vom Lohn Geld für die Altersvorsorge abgezogen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 6. Hans-Peter Tschudi (SP) ist von 1960 bis 1973 EDI-Vorsteher. 1965 führt er mit Ergänzungsleistungen eine Lücke im Rentensystem. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 6. Hans-Peter Tschudi führt zudem 1972 das Drei-Säulen-Prinzip ein: AHV, (obligatorische) Pensionskasse und individuelle Vorsorge. Das Bundesgesetz über berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) wird jedoch erst 1985 verabschiedet. Wirtschaftskreise hatten die Umsetzung der zweiten Säule massiv verzögert. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 6. Ruth Dreifuss (SP) und die 10. AHV-Revision: Kritik am Sozialstaat und langsameres Wachstum beeinflussen die Debatte. Die Revision dauert darum über 10 Jahre. Die SP-Bundesrätin akzeptiert ein höheres Rentenalter für Frauen, um bessere Leistungen durchzubringen. Das Paket wird 1995 angenommen. Dreifuss bereitet danach auch die 11. Reform vor. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 6. Pascal Couchepin (FDP) scheitert mit seiner 11. AHV-Revision zweimal. 2004 feiern Linke und Gewerkschaften einen Sieg mit ihrem Referendum gegen die Reform. 2010 wird die Vorlage schon im Parlament versenkt. Couchepin wollte das Rentenalter auf 67 respektive 65 erhöhen. Zudem wird die Erhöhung der Mwst. zugunsten der AHV und IV versenkt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 6. Jetzt kommt Alain Berset (SP): Seine Rentenreform 2020 sieht namentlich die Erhöhung des Frauen-Rentenalters von 64 auf 65 vor. Weitere Punkte: Mehrwertsteuer um maximal 1.5 Prozentpunkte heben, Umwandlungssatz für Renten von 6,8 auf 6 Prozent senken. Bildquelle: Keystone.