SRF News: Greift das Gesetz in der Form, wie es der Nationalrat angepasst hat, überhaupt noch?
Mark Pieth: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich sehr enttäuscht bin. Es ist auch schwer verständlich, warum im bereits in Kraft befindlichen Gesetz – der ‹Lex Duvalier› – ein Passus ist, in dem steht, dass die Verjährung keine Rolle spielen solle. Und jetzt taucht sie plötzlich wieder auf. Wir tun so, als ob wir uns in der Schweiz befinden würden.
Allerdings ist die Verjährung ein rechtsstaatliches Prinzip, das es zu achten gilt.
Man muss sich im Klaren sein, dass sie nicht überall in der gleichen Weise gilt. In gewissen angelsächsischen Staaten etwa wird überlangen Verfahren anders Rechnung getragen.
Der Nationalrat hat heute auch entschieden, dass nur Personen belangt werden, die Potentaten erkennbar bei Vermögensdelikten geholfen haben. Das klingt einleuchtend, oder?
Hier habe ich ein zusätzliches Problem: Es wird neuerdings verlangt, dass diese nahestehenden Personen Beteiligte sein müssen. Doch was heisst das eigentlich? Handelt es sich um strafrechtlich Beteiligte? Man kann auch benutzt worden sein. Es schränkt die Möglichkeiten doch ganz erheblich ein; es sieht so aus, als ob man dieses Gesetz effektiv abschwächen möchte.
Das heisst: Mit diesem Passus ist es für Potentaten leichter, ihre Vermögen abzusichern, indem sie diese auf neue Familienmitglieder überschreiben?
Ich kann es ganz grob sagen: Die Schweiz arbeitet an ihrem Ruf als Piratenhafen.
Der Bundesrat wollte Herkunftsstaaten Informationen auch vor einem Rechtshilfegesuch liefern können. Nun hat der Nationalrat diese Möglichkeit eingeschränkt. Heisst das, es dürfte für viele Staaten schwierig sein, überhaupt ein Rechtshilfegesuch stellen zu können – denn dafür braucht man ja Informationen?
Dieser Schritt ist schwer verständlich. Es gibt bereits heute nach Art. 67a des Rechtshilfegesetzes die Möglichkeit, unaufgefordert Beweismittel und Informationen zu übermitteln. Man kann auch geheime Informationen weiterleiten, um einem Staat Rechtshilfe zu ermöglichen. Wenn er bereits ein Rechtshilfegesuch gestellt hat, geht das nicht mehr. Wir müssten also eigentlich jedem solchen «Potentatenstaat» zuvorkommen, wenn die neue Regelung gelten sollte.
Die Schweiz hat auch ohne dieses Gesetz 1,8 Milliarden Franken Potentatengelder an die Herkunftsstaaten zurückerstattet. Wird die Möglichkeit einer solchen Rückerstattung mit dem neuen Gesetz eingeschränkt?
Sie wäre weiterhin möglich. Allerdings müssten die Schweizer Behörden überaus aktiv werden; und es ist nicht wirklich verständlich, dass Spontanhilfe geleistet werden darf – aber im Falle eines untauglichen Rechtshilfegesuches keine Hilfe mehr möglich sein soll. Das ist ein Rezept, um in Schwierigkeiten zu geraten. Man denke nur an die Staaten, für die dieses Gesetz gemacht wurde: Ägypten, Tunesien, Peru, Ukraine.
Gerade bei Tunesien und Ägypten war die Schweiz stolz darauf, so schnell reagiert zu haben. Man gehörte zu den ersten, die Gelder sperrten.
Sperren ist das eine, Einziehen und Rückführen ist das andere. Dieses Gesetz sollte es ermöglichen, nicht nur A, sondern auch B zu sagen – also auch die Konsequenzen zu ziehen. Die Gelder zu blockieren ist sicher nützlich, am Schluss werden sie aber möglicherweise trotzdem herausgegeben.
Sie beobachten die Gesetzgebung in diesem Feld seit Jahren. Wie erklären Sie sich den heutigen Nationalratsentscheid?
Ich gehe von einer gewissen Reaktion aus. Darauf, dass die Schweiz jahrelang versucht hat, ihren Bankenplatz aufzuräumen. Jetzt versucht man, zurück zu schlagen, die Tendenz umzukehren. Das wird dem Ruf der Schweiz nicht helfen, und sie wird international unter Druck geraten.
Das Gespräch führte Roman Fillinger.