Schweizer Forschende bauten im Vorfeld der Parlamentsentscheide eine gewaltige Drohkulisse auf: Versenken die Räte die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien, könnte die Schweiz aus der «Champions League der Forschung» ausgeschlossen werden. Tatsächlich ist die Teilnahme am EU-Forschungsprogramm «Horizon 2020» formell mit dem Kroatien-Protokoll verknüpft.
Bis zu einer verfassungskonformen Umsetzung der Zuwanderungsinitiative darf der Bundesrat jedoch keine neuen völkerrechtlichen Verträge abschliessen – so will es der Text der SVP-Initiative. Das Problem: Ist das Kroatien-Protokoll nicht bis zum 9. Februar 2017 ratifiziert, also verbindlich in Kraft, fällt die Guillotine für «Horizon 2020».
Das Resultat
Nach dem Nationalrat hat sich nun auch der Ständerat dafür ausgesprochen, die Personenfreizügigkeit auf das jüngste EU-Mitglied Kroatien auszuweiten. Der Entscheid fiel mit deutlichem Mehr von 40 gegen 3 Stimmen.
Die Kleine Kammer verpflichtet den Bundesrat aber explizit, das Abkommen erst zu ratifizieren, wenn es eine Lösung in der Zuwanderungsfrage mit der EU gibt. Damit soll ein Alleingang der Regierung von vornherein verunmöglicht werden. Der Entscheid fiel mit 33 gegen 10 Stimmen.
Dieser Passus war der eigentliche Streitpunkt im Ständerat. Es entwickelte sich eine fachjuristisch geprägte Debatte im Rat – ein Vorgeschmack auf einen möglichen Abstimmungskampf. Den, so die Befürchtung einiger Räte, die SVP mit dem schmissigen Schlagwort «Verfassungsbruch» kontern könnte.
Das sagen die Befürworter
Für Christian Levrat (SP/FR) ist der Artikel keine «juristische Marotte»: «Es ist eine Notwendigkeit, um den Volkswillen zu respektieren und ein allfälliges Referendum zu überstehen», so der Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats. Karin Keller-Sutter (FDP/SG) sekundierte: «Die Ratifizierung erfüllt zum heutigen Zeitpunkt die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen nicht.»
Man könne lange über Kroatien und Horizon 2020 streiten, aber ohne ein Übereinkommen mit der EU bei der Personenfreizügigkeit sei die Diskussion obsolet. Eine «verfassungswidrige» Ratifizierung könne vor dem Volk nicht gerechtfertigt werden, schloss Keller-Sutter.
Das sagen die Gegner
«Auch für mich ist die Verfassung heilig», sagte Daniel Jositsch (SP/ZH): «Wir genehmigen, der Bundesrat ratifiziert. Wir dürfen ihm nicht jeden Handlungsspielraum nehmen.»
Thomas Minder (SVP-Fraktion/SH) fuhr derweil schwere Geschütze gegen den Bundesrat auf: «Es ist ein reiner Verzweiflungsakt, der EU das Kroatien-Protokoll jetzt zu unterbreiten.» Einmal mehr werde die «Hölle» beschworen, man liesse sich immer wieder politisch von der EU und auch den USA erpressen.
Anita Fetz (SP/BS) warnte davor, dass das Niveau bei im Abstimmungskampf «nach unten offen» sein werde: «Der Zusatz eröffnet wunderbare Flanken, damit die Probleme weiter bewirtschaftet statt gelöst werden können.» Eine Kostprobe davon habe schon «Kollege Minder» gegeben.
Das sagt der Bundesrat
Justizministerin Simonetta Sommaruga bekräftigte, dass der Sonderpassus weder ein «Befreiuungsschlag» noch ein «Korsett» für die Regierung sei: «Wichtig ist, dass Sie das Protokoll möglichst schnell genehmigen.» Für den Bundesrat mache das materiell keinen Unterschied: Seine Aufgabe sei so oder so, den «Normkonflikt zwischen Personenfreizügigkeitsabkommen und Verfassungsartikel 121a aufzulösen.»
So geht es weiter
Aufgrund der Neuerung, dass die Ratifizierung explizit erst erfolgen darf, wenn die Einwanderungsinitiative umgesetzt ist, geht das Geschäft nun nochmals zurück in den Nationalrat. Dieser wird voraussichtlich noch während der laufenden Sommersession über die Änderung befinden. Die Zeit drängt: Der Bundesrat will nach dem «Brexit»-Referendum am 23. Juni so rasch wie möglich mit Brüssel weiterverhandeln. Wird das Kroatien-Protokoll nicht bis zum 9. Februar 2017 ratifiziert, endet die Forschungszusammenarbeit mit der EU. Die aktuelle Übergangslösung wäre passé. Offen ist, ob das Referendum ergriffen wird.