Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine sprach Verteidigungsministerin Viola Amherd vor dem Nationalrat von einer «historischen Zäsur»: «Dass es so weit kam, ist nicht unbedingt eine Überraschung. Mit welcher Geschwindigkeit und Brutalität es passiert ist, hingegen schon.»
Amherd konnte mehrere Stellen aus dem bundesrätlichen Bericht zur Sicherheitspolitik der Schweiz zitieren, in welchen die Bedrohung durch Russland exakt beschrieben wird – Monate vor der russischen Invasion in der Ukraine. Die Verteidigungsministerin stellte deshalb fest: «Seine Aussagen zur Lage sind zutreffend.»
Stimmt, fand die grosse Mehrheit im Rat. Thomas Rechsteiner erklärte für die Mitte-Fraktion: «Der Bundesrat hat die Lage richtig eingeschätzt.» Und die Grüne Marionna Schlatter lobte: «Der Bericht beschreibt bereits vor Ausbruch der Krise exakt die schwierige Lage an den Rändern der europäischen Gemeinschaft und die zunehmend instabile Situation.»
Sicherheitspolitischer Bericht 2021
Einzig die SVP zeigte sich mit dem Bericht überhaupt nicht zufrieden. «Der Bericht vermittelt einmal mehr ein unzutreffendes Bild von der Schweizer Armee und suggeriert, dass unsere Armee in der Lage sei, Land und Bevölkerung im Ernstfall zu verteidigen», sagte Nationalrat David Zuberbühler.
Die Schweizer Armee sei zu klein und müsse aufgerüstet werden, mit zusätzlichen zwei Milliarden Franken pro Jahr für Rüstung und 20'000 zusätzlichen Soldaten, hatten SVP und FDP bereits im Vorfeld der Debatte gefordert.
Linke geisseln «populistische Forderungen»
SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf fand das völlig deplatziert: «Eine direkte militärische Bedrohung durch terrestrische Angriffe ist kurz- und mittelfristig unwahrscheinlich. Warum schüren die Bürgerlichen dermassen die Ängste der Bevölkerung?». Seiler Graf bezeichnete die bürgerlichen Forderungen als populistisch, die «plan- und konzeptlos» eine innenpolitische Agenda verfolgten. Und die Grüne Marionna Schlatter sprach von einem «hohlen Schutzversprechen».
Ich bedauere, dass die Linke unseres Rates teils gar romantische Vorstellungen und Abrüstungswünsche äussert.
Die Antwort auf diesen Frontalangriff der Linksparteien kam prompt – von FDP-Nationalrätin Doris Fiala: «Ich bedauere, dass die Linke unseres Rates teils gar romantische Vorstellungen und Abrüstungswünsche äussert», rief Fiala in den Saal und machte klar: «Die Schweiz kann und darf nicht abrüsten.»
Die Sicherheitslage werde allerdings nicht alleine mit einer simplen Erhöhung der Truppenstärke und des Armeebudgets verbessert, fand wiederum Melanie Mettler von den Grünliberalen. «Wir erkennen in den aktuellen geopolitischen Entwicklungen mehr denn je: Die Vorstellung einer autonomen Verteidigung ist ein naiver Wunsch.»
Die Armee und die «historische Zäsur»
Mettler erwähnte unter anderem die verstärkte Zusammenarbeit mit Partnern, über die jetzt diskutiert werden müsse. Das sah selbst SP-Vertreterin Seiler Graf so. Diesen Fragen müsse man sich jetzt stellen, sagte sie.
Verteidigungsministerin Amherd nahm den Ball auf und kündigte im Nationalrat an, bis spätestens Ende Jahr einen Zusatzbericht vorzulegen, der auf die Folgen des Ukraine-Kriegs für die Schweizer Sicherheitspolitik eingehen werde. «Wir werden darin aufzeigen, inwiefern allfällige Justierungen vorzunehmen sind.»
Das Parlament wird sich also schon bald mit der grundsätzlichen Frage beschäftigen können, welche Rolle die Schweizer Armee nach der «historischen Zäsur» des Ukraine-Kriegs spielen soll.