«Die Welt ist ein Dorf.» Eine Feststellung, die vermeintlich gut auf die kleine Schweiz passt. Doch das Dorfleben ist für viele nur noch eine vage Erinnerung. Denn aus vielen kleinen Dörfern sind in den vergangenen Jahren kleine und grosse Städte oder Agglomerationen geworden.
Knapp drei Viertel der Schweizer Bevölkerung lebte 2022 in einer der 52 Agglomerationen. 14 Prozent der Bevölkerung leben auf dem Land, auf 57 Prozent der Landesfläche. Das zeigt eine neue Erhebung des Bundesamts für Statistik (BFS).
Drei neue Agglomerationen ...
Zwar leben etwa gleich viele Menschen in Agglomerationen wie in den frühen 2010er Jahren, aber die Zahl der Agglomerationen ist gewachsen. So sind in den letzten zehn Jahren drei neue Agglomerationen dazu gekommen: Burgdorf (BE), Mels-Sargans (SG) und Reinach (AG).
In Burgdorf ist man davon wenig überrascht: «Wir arbeiten schon lange mit unseren umliegenden Gemeinden zusammen und nutzen gemeinsame Infrastruktur. Ausserdem ist man hier innerhalb von 15 Minuten in der Stadt. Wir sind fast näher an Bern als teils anliegende Gemeinden», sagt Stadtpräsident Stefan Berger.
... und zehn neue Städte
Auch bei den Städten gab es einen Zuwachs. Neu zählen Küssnacht am Rigi (SZ), Lachen (SZ), Hochdorf (LU), Widnau (SG), Le Mont-sur-Lausanne (VD), Zuchwil (SO), Landquart (GR), Veyrier (GE), Rümlang (ZH) und Rothrist (AG) als Städte.
«Rothrist, eine Stadt? Das ist mir neu», sagt Gemeindeammann Ralph Ehrismann erstaunt. «Wir haben noch nicht mal 10'000 Einwohner.» Auch wenn Rothrist nun der Definition nach als Stadt zähle, gefühlt sei man immer noch ein Dorf. «Wir haben viele Quartiere mit Einfamilienhäusern, denken sehr ländlich und man kennt man sich untereinander.»
Abgesehen von einem Hallenbad habe Rothrist keine kulturelle Infrastruktur. «Dafür haben wir viele Vereine, wie es ein Dorf normalerweise hat.»
Auch wenn sich nicht alle Städte als solche fühlen: Für den Städteverband zeigt die BFS-Erhebung, dass sich die Städte mehr Gehör verschaffen müssen. «Drei Viertel der Bevölkerung lebt in städtischen Gebieten, aber das findet in der Politik zu wenig Beachtung. Städtische Themen benötigen mehr Raum in der Politik», sagt Präsident Anders Stokholm.
Der Städteverband habe in den vergangenen Jahren mit seiner Arbeit an Gewicht gewonnen und konnte auch Themen setzen. Aber: «Es braucht mehr Bewusstsein für städtische Herausforderungen wie etwa verdichtetes Bauen, Bevölkerungswachstum, Mobilität oder Lärmschutz.»
Beispiel «Tempo 30»
Exemplarisch dafür steht etwa die Diskussion um Tempo 30. Städte setzen sich für mehr Tempo-30-Zonen ein, stossen in Bundesbern aber auf Widerstand. So haben National- und Ständerat einen Vorstoss von Nationalrat Peter Schilliger (FDP/LU) angenommen, der die Einführung von Tempo 30 erschweren soll.
Um den Städten mehr Gewicht zu geben, gibt es unkonventionelle Ansätze, sagt Politologin Rahel Freiburghaus: «Einerseits könnte man sich einen sogenannten Städtesitz überlegen, bei dem man den grossen Städten einen Sitz im Ständerat gewähren würde.»
Das wäre realpolitisch auch möglich: «Die Kantone, die sich für einen Städtesitz interessieren, könnten ihre Kantonsverfassung ändern, da braucht es keine Änderung der Bundesverfassung.»
Ein anderer Ansatz wäre, den grossen Städten eine halbe Standesstimme zu geben. «So würde das Gewicht der Städte auch bei den eidgenössischen Volksabstimmungen zum Tragen kommen.»