Wenn keine Wolken am Horizont aufziehen, ist die finanzielle Wehrbereitschaft des Schweizervolkes gering. Die Schweizer Parlamente werden zur Markthalle sparsamer Bedenken.
Schon vor über sechzig Jahren wusste der Journalist und FDP-Nationalrat Erwin Jaeckle: Die Beschaffung von Kampfflugzeugen ist eine Zangengeburt. Und kann, je nach Bedrohungslage, unter ganz anderen Vorzeichen stattfinden.
Damals wie heute sorgte die Beschaffung für neutralitätspolitische Grundsatzdebatten, das Auswahlverfahren für sicherheitspolitische Stellungskriege und das Preisschild für finanzpolitische Verstimmungen.
So auch vor gut 100 Jahren. Die Schützengräben des Ersten Weltkriegs sind zugeschüttet, nachhaltig befriedet ist Europa nicht.
Der Weltenbrand des Zweiten Weltkriegs ist zwar noch fern, doch die technologische Entwicklung schreitet unaufhaltsam voran – auch in der Kriegführung.
Abkehr von «radikaler Fiktion»
Armee und Politik bekennen sich 1930 zu einer «kriegsbrauchbaren Luftwaffe», für 105 moderne Kampf- und Aufklärungsflugzeuge werden 13 Millionen Franken veranschlagt. Der Entscheid wühlt die Sozialdemokratie auf, die in den Zwischenkriegsjahren auf sicherheitspolitischer Identitätssuche ist.
War die SP noch vor dem Ersten Weltkrieg armeefreundlich, wird der pazifistische Parteiflügel nun lauter. Seine allzu armeekritischen Genossen pfeift der spätere erste SP-Bundesrat Ernst Nobs noch zurück: Sie sollen auf die «radikale Fiktion einer Totalabrüstung verzichten».
Am 27. Mai 1930 demonstrieren 5000 Menschen auf dem Zürcher Helvetiaplatz gegen die «Millionen-Verschwendung», während die Weltwirtschaftskrise auch in der Schweiz Armut und Arbeitslosigkeit befördert. Vergebens.
Wehrhafte Genossen und Goebbels’ Ärger
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Bild 1 von 5. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 besass die Schweiz 124 moderne Flugzeuge – die meisten davon von den Nazis gekaufte Messerschmitts (im Bild) und einige Dutzend französische Moranes. Bildquelle: Keystone/Archiv.
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Bild 2 von 5. Hochfliegende Ambitionen hatte 1938 Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler mit seiner Aktion «1000 Flugzeuge» zum Schutz des Vaterlands. Im Angesicht des Faschismus bekannte sich auch die SP-Führung zur Landesverteidigung und unterstützte das Vorhaben. (Bild: Inserat in der sozial-liberalen Zeitung «Die Tat», 29.7.1938). Bildquelle: «Die Tat», 29.7.1938).
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Bild 3 von 5. Die nachfolgende Volksinitiative zur Beschaffung von 1000 Flugzeugen wurde nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges aber nicht eingereicht. Eine Beschaffung aus den USA war mitten im Krieg ebenso unrealistisch wie der kurzfristige Aufbau einer eigenen Flugzeugproduktion. Im Bild: Gottlieb Duttweiler, 1960, vor einer Migros-Filiale. Bildquelle: Keystone/Photopress Archiv.
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Bild 4 von 5. In den ersten Kriegsmonaten kam es immer wieder Scharmützeln im helvetischen Luftraum. Schweizer Piloten schossen mehrmals deutsche Bomber ab; diese hielten die helvetischen Messerschmitts anfangs für eigene Flugzeuge. Im Bild: Eine deutsche Messerschmitt verfolgt eine britische Spitfire im Zweiten Weltkrieg. Bildquelle: Keystone via AP.
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Bild 5 von 5. Die Schweiz wurde beinahe in den Krieg hineingezogen. Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels (rechts) notierte: «Das neutrale Ausland frisst uns aus der Hand. Bloss die Schweiz bleibt unentwegt frech.» Hermann Göring, Chef der Nazi-Luftwaffe (Mitte, neben Adolf Hitler), liess als Drohgebärde 28 schwere Jagdmaschinen über dem Jura kreisen. Bildquelle: Getty Images/Archiv.
Nach dem Krieg ist der Kampf um den ersten Schweizer Kampfjet eingeläutet; die staatlichen Flugzeugwerke in Emmen (LU) und die Privatfirma FFA in Altenrhein (SG) buhlen um den Zuschlag. In Serienproduktion wird keiner der Flieger gehen.
Der Traum vom helvetischen Düsenjäger platzt
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Bild 1 von 2. Der N-20 (aus Emmen) scheiterte an der Finanzierung: Für den Kampfeinsatz brauchten die Triebwerke mehr Schubleistung – und einen Kredit in Höhe von drei Millionen Franken. Das Parlament lehnte ab. Schweizer Militärexperten und Aviatikfreunde trauern bis heute um das vielversprechende Projekt. Bild: Prototyp im Fliegermuseum Flab in Dübendorf. Bildquelle: Wikimedia.
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Bild 2 von 2. Zwei P-16 (aus Altenrhein) stürzten zwischen 1955 und 1958 in den Bodensee ab. Die politischen Folgen waren fatal. Der Nationalrat hatte bereits eine Bestellung von 100 der Jets abgesegnet. Nach dem zweiten Unfall stoppte der Bundesrat die Beschaffung. Bildquelle: Public Domain via ETH-Bildarchiv.
Es ist der Prolog für einen Politskandal, der die Schweiz bis in Mark erschüttert: die Mirage-Affäre. 1961 hatte das Parlament 871 Millionen Franken gesprochen, um 100 der hochmodernen französischen Flieger zu beschaffen. 1964 der Offenbarungseid: Der Bundesrat beantragt einen Nachtragskredit von 356 Millionen und 220 Millionen für teuerungsbedingte Mehrkosten.
Das Parlament fühlt sich hintergangen
Die Empörung ist gewaltig. Auf die Kostenexplosion folgt die erste Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) überhaupt, unter Leitung des späteren CVP-Bundesrats Kurt Furgler. Es knirscht im Gebälk des Bundeshauses.
Acht Jahre später kann sich die Landesregierung nicht dazu durchringen, die Staatskasse für Kampfjets zu öffnen: Der Bundesrat fällt einen «Nullentscheid» – und plädiert 1975 für die Billigvariante, den F-5 Tiger.
Beschaffungsskandal auf Höhepunkt des Kalten Kriegs
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Bild 1 von 4. Als in den 1950er-Jahren der Kalte Krieg heraufzog, deckte sich die Schweiz reichlich mit Kampfjets aus Grossbritannien ein: 75 Vampire-Düsenflugzeuge, über 100 Venoms und schliesslich noch über 100 Hawker Hunter (im Bild) – er galt damals als Spitzenprodukt. Bildquelle: Keystone/Christian Merz.
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Bild 2 von 4. In der Schweizer Luftwaffe kamen Hunter-Flieger von 1958 bis 1994 zum Einsatz. Die Jagdbomber waren allerdings auch anfällig. 28 Maschinen verunfallten. Bis zur Ausmusterung starben 15 Piloten. Bildquelle: Public Domain via ETH-Archiv.
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Bild 3 von 4. Der Rücktritt von Verteidigungsminister Paul Chaudet bedeutete 1966 das schmähliche Ende der Mirage-Affäre. Die Räte beschlossen eine Reduktion von 100 auf 57 Flugzeuge. Die Ausgabenfreude für Rüstungsprojekte erlitt einen argen Dämpfer. Bildquelle: Keystone/Paul Hoehn.
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Bild 4 von 4. «Der Tiger ist der einzige, der im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten in einer für uns ausreichenden Stückzahl gekauft werden kann», schrieb der Bundesrat im August im 1975. Die «National-Zeitung» sprach vom «Kampfflugzeug des armen Mannes». Bildquelle: Keystone/Christian Merz.
1989 fällt in Berlin die Mauer. Der Zusammenbruch der Sowjetunion besiegelt das Ende des Kalten Kriegs. Die «rote Gefahr» scheint gebannt. Die Linke wagt den Tabubruch: Braucht es die «bewaffnete Neutralität» am Schweizer Himmel?
Armeekritik findet auch in der Bevölkerung Gehör. 1992 segnet das Parlament den Kauf von 34 F/A-18-Kampfjets ab. Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) ergreift das Referendum – an der Urne sprechen sich 1993 42.8 Prozent gegen die Beschaffung aus.
Turbulenzen an der Urne: Gripen und Volksrechte «gegroundet»
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Bild 1 von 4. 1989 unterstützten satte 35.6 Prozent der Stimmbevölkerung die GSoA-Initiative zur Abschaffung der Armee. Mit der «Initiative für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge» folgte im 1993 der zweite Warnschuss Richtung Armee. In Rekordzeit sammelte die GSoA 500'000 Unterschriften gegen das Rüstungsprojekt. Im Abstimmungskampf drehte der Wind dann aber. Bildquelle: Keystone/Archiv.
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Bild 2 von 4. Eine Woche, nachdem die GSoA ein Rockfestival auf dem Bundesplatz organisiert hatte, kamen die Befürworter um Verteidigungsminister Kaspar Villiger nach Bern. Von überall aus dem Land reisten Armeeunterstützer an. Die Initiative wurde mit 57.2 Prozent abgelehnt. Der Bund konnte die 34 F/A-18-Jets ordern – für 3.5 Milliarden Franken. Bildquelle: Keystone/STR/Archiv.
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Bild 3 von 4. Für den Gripen wollte die Bevölkerung das Portemonnaie aber nicht mehr öffnen. Die 3.1 Milliarden Franken für den schwedischen Flieger wurden 2014 nicht bewilligt. «Ich nehme die Niederlage persönlich», bilanzierte ein konsternierter VBS-Chef Ueli Maurer die Abstimmungsniederlage. Bildquelle: Keystone/Gian Ehrenzeller.
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Bild 4 von 4. Auch die aktuelle Beschaffung des F-35 verläuft nicht ohne Turbulenzen. Medien berichten über bundesrätliche Intrigen bei der Typenwahl. Das Parlament beschliesst den Kauf, bevor sich das Volk zur Beschaffung des US-Fliegers äussern kann. «Mit dem neuen Kampfjet werden Volksrechte gegroundet», bilanziert SRF-Bundeshausredaktor Philipp Burkhardt. Bildquelle: Keystone/Peter Klaunzer.
Im Jahr 2014, 21 Jahre später, groundet der Gripen: Nach einem skandalträchtigen Abstimmungskampf kann sich das Stimmvolk nicht für den schwedischen Flieger erwärmen. 2020 wird der Kauf neuer Kampfjets hauchdünn mit 50.1 Prozent gutgeheissen.