Alles ist teurer geworden – oder wird es noch: Lebensmittel, Bus und Zug, Post, Mehrwertsteuer, Mieten, Krankenkassen. Das teurere Leben bringt viele Haushalte unter Druck. Deshalb wollen die Gewerkschaften diesen Herbst stärker als in den letzten Jahren für mehr Lohn kämpfen. Fünf Prozent mehr fordern die Gewerkschaften unter der Leitung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes für 2024.
Der Chefökonom des Gewerkschaftsbundes, Daniel Lampart, erklärte an der Medienkonferenz in Bern die Gründe: «Die Firmen erhöhen die Preise, die Wirtschaft läuft gut und die Arbeitnehmenden arbeiten hart.» Trotzdem habe es abzüglich der Teuerung seit 2015 nicht mehr Lohn gegeben. «Jetzt ist es höchste Zeit, dass die Löhne steigen. Für die Leute, denn sie haben es sich verdient. Aber auch für die Kaufkraft im Land.»
Reallöhne sind gesunken
Die Statistik zeigt, dass die Reallöhne – Lohn minus Teuerung also – in den letzten drei Jahren in der Schweiz nicht nur stagnierten, sondern sogar gesunken sind. Das bedeutet: Konsumenten haben weniger Kaufkraft, können sich also weniger leisten. Lampart verweist gleichzeitig auf die Geschäftsberichte von Firmen, die zeigten, dass in vielen Branchen die Margen über die Teuerung hinaus hätten erhöht werden können. «Das Geld ist in sehr vielen Firmen vorhanden, es geht ihnen gut. Bei den Löhnen gibt es einen Rückstand. Wir werden nun schauen, wie die Lohnverhandlungen verlaufen», sagt der Chefökonom des Gewerkschaftsbundes.
Auch bei den Gewerkschaften stellt man sich auf eine schwierige Übung ein. Zumal sich die Sozialpartnerschaft in den letzten Jahren verändert habe, sagt Natascha Wey von der Gewerkschaft des öffentlichen Personals (VPOD). Und das eher zum Schlechten: Heute müsse man sogar um den Ausgleich der Teuerung kämpfen, erzählt die Gewerkschafterin: «Das war früher anders. Für die Bevölkerung war klar, dass eine allfällige Teuerung automatisch ausgeglichen wird. Das war lange Zeit das Verständnis von Sozialpartnerschaft.»
Die Leute sind nicht mehr bereit, Reallohneinbussen einzustecken.
Allein schon der Kampf um die Teuerung – ein neues Phänomen laut Natascha Wey – werde die Lohnverhandlungen dieses Jahr wohl gehässiger machen: «Die Leute sind nicht mehr bereit, Reallohneinbussen einzustecken. Sie wollen, dass die Teuerung ausgeglichen wird und am Produktivitätsfortschritt beteiligt sein.» Für die Menschen sei klar, dass der Arbeitsfrieden in der Schweiz einen Preis habe, schliesst die Gewerkschafterin. «Das bedeutet: Die Arbeitgeber müssen sich bewegen.»
Unterstützung kriegen die Gewerkschaften vom Unternehmensberater Klaus Wellershoff. Der Ökonom hofft auf grosszügige Lohnzuwachsraten, weil sie der Konjunktur helfen würden. Dass der Lohnherbst eskalieren könnte, glaubt der Ökonom hingegen nicht. Denn: «Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben an dem Punkt natürlicherweise ein entgegengesetztes Interesse. Zum Glück sind in der Schweiz beide Seiten nicht dumm und verstehen, was sie tun. Am Ende kommt jeweils etwas Ordentliches raus – zumindest war das historisch so.»
Wie hoch diese ordentliche Lohnerhöhung schlussendlich sein wird, und ob weitere Streiks auf die Schweiz zukommen, werden die nächsten Monate zeigen.