Gestern kam es zu einer Premiere in der 125-jährigen Geschichte der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA): Die Journalistinnen und Journalisten legten während dreier Stunden die Arbeit nieder. Sie protestierten damit gegen den geplanten Stellenabbau bei der einzig verbliebenen Nachrichtenagentur der Schweiz.
Die Journalisten wollten auch aufzeigen, welch Bedeutung die SDA für die nationale Medienlandschaft und ihre Kunden, zu denen auch die SRG gehört, hat. Doch braucht die kleine Schweiz mit ihrem dichten Blätterwald tatsächlich eine eigene Nachrichtenagentur? Antworten von Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik am Institut für Angewandte Medienwissenschaft.
Die Welt durch die Schweizer Brille
In den Redaktionen, so auch bei SRF, trudeln im Sekundentakt Nachrichtenmeldungen aus aller Welt ein. Egal ob politische Unruhen im Maghreb oder Unwetter in Südostasien – auch ohne die SDA werden viele Redaktionen laufend über das aktuelle Weltgeschehen informiert. Trotzdem sagt Wyss: Auch hier brauche es die SDA. Denn sie übersetze Meldungen nicht nur in drei Landessprachen, sondern stelle sie auch in den Schweizer Kontext, führt der Medienprofessor aus: «In unserem kleinen Land sind wir immer auch mit einer Schweizer Brille unterwegs. Also ist es umso wichtiger, dass man auch eine eigene Sicht auf die Welt hat.»
Entlastung für die Redaktionen
Angesichts des unablässigen News-Stroms auf den Redaktionen habe die SDA eine wichtige Funktion, sagt Wyss: Sie trenne Wichtiges von Unwichtigem und beliefere ihre Kunden mit Rohmaterial zu Vorgängen in aller Welt, vor allem aber auch in der Schweiz – egal ob Politik, Wirtschaft oder Sport: «Die Redaktionen wären kaum in der Lage, die gesamte Menge an wichtigen und relevanten Informationen zu bearbeiten.» Die Redaktionen seien hier quasi auf das Outsourcing an eine Agentur angewiesen, um das Rohmaterial schliesslich aus eigener journalistischer Warte zu bearbeiten – etwa aus regionaler Perspektive oder mit dem eigenen publizistischen Konzept: «Das schafft Freiraum für Eigenleistungen», so Wyss.
Verlässliche Information für die Kleinen
Guter Journalismus koste, und im Grunde wünschten sich wohl alle Redaktionen – egal ob gross oder klein – sie könnten eigene Journalisten dort hinschicken, wo es etwas zu berichten gibt. Allein: Mittel und Ressourcen seien begrenzt, so Wyss. Die SDA gewährleistet für den Medienexperten, dass verlässliche Information nicht den grossen Medienhäusern vorbehalten bleibt: «Eine Regionalzeitung wie ein ‹Landbote› etwa sieht sich in der Chronistenpflicht. Sie sind stark davon abhängig, dass sie den Rohstoff über das Welt- und Inlandgeschehen erhalten», sagt Wyss.
Ein Lotse im Informationszeitalter
Durch das Netz bröckelt das Informationsmonopol der Medien. Was interessiert, verbreitet sich in Windeseile über die sozialen Medien – oft sogar schneller, als es Online-Portale verarbeiten können. Doch auch hier erfüllt die SDA für Wyss eine wichtige Funktion: «Man weiss, dass das Qualitätssicherungssystem der SDA sehr gut ausgeprägt ist. Es ist sehr wichtig, dass man sich darauf verlassen kann.» Ausgehend von SDA-Meldungen könnten Redaktionen entscheiden, ob sie ein Thema vertieft selber beleuchten: «Fällt diese Grundversorgung weg, müssen sie das selber leisten», sagt Wyss. Die Folge: Weniger Raum für Eigenleistungen – obwohl genau das in Zeiten der Digitalisierung von den Konsumenten immer stärker gefordert werde.
Die Folgen eines Aderlasses bei der SDA
Journalistik-Professor Wyss ist überzeugt, dass sich die Schweizer Medienlandschaft verändern würde, wenn die SDA ihr Angebot stark reduzieren müsste: «Einzelne Zeitungen müssten News (aus gewissen Ressorts) selber beschaffen, vielleicht auch bei zweifelhafteren Quellen. Und sicher nicht mehr mit einem regionalen, Schweizer Blick.» Schliesslich betreibt die SDA auch diverse Regionalbüros, und auch hier könnte der Rotstift unschöne Folgen haben: «Organisationen können sich darauf verlassen, dass die SDA vor Ort ist, wenn sie relevante Informationen haben.» Und viele TV- und Radiostationen würden sich ebenfalls darauf verlassen, dass jemand von der Nachrichtenagentur hingehe.