Wenn ein Mensch stirbt, bricht die Trauer über die Hinterbliebenen herein. Oft ist aber kaum Zeit, um den Schmerz zu verarbeiten. Zunächst stehen organisatorische Aufgaben an, und immer wieder heisst es auch: suchen. Nach dem Testament, nach Passwörtern für Accounts, nach wichtigen Dokumenten. Wie praktisch wäre es da, wenn alles am gleichen Ort zu finden wäre, von überall her zugänglich und mit nur wenigen Mausklicks?
Sterben und Trauern seien heute zunehmend auch digitale Angelegenheiten, sagt Studienleiter Jean-Daniel Strub. So wollen Menschen etwa über ihren Tod hinaus dafür sorgen, dass Hinterbliebene Nachrichten bekommen. Diverse Plattformen bieten inzwischen einen solchen Service an.
Das kann eine aufgezeichnete Abschiedsrede sein, die an der eigenen Beerdigung abgespielt wird. Oder ein Gruss des toten Vaters an die Tochter, zu ihrem 18. Geburtstag. Die Digitalisierung biete Sterbenden neue Möglichkeiten, ihr Ableben zu gestalten, sagt Strub. Aber auch Hinterbliebenen, ihre Trauer auszuleben. Zum Beispiel mit Plattformen, die dem Gedenken im virtuellen Raum gewidmet sind und die die Möglichkeit zum Austausch bieten.
Das digitale Trauern
Das kann ein QR-Code sein, ein Web-Link, angebracht an einem Grabstein oder an einem Lieblingsplatz des Verstorbenen, der die Trauernden auf eine digitale Seite führt: «Dort kann man zum Beispiel ein Gedicht anhören, das dieser Person wichtig war oder sich in ein Kondolenzbuch eintragen», schildert Strub.
Bekannte und Verwandte seien heute häufiger auf der ganzen Welt verteilt – unsere Biografien dagegen seltener an einen Ort gebunden. Beim digitalen Trauern und Gedenken fällt die geografische Distanz weg. Für die Hinterbliebenen sei dieser einfachere, dezentrale Austausch eine Chance, so Strub.
Die digitale Trauer habe aber auch ihren Tücken, sagt die Juristin Nula Frei. Denn die Schweiz kenne keinen postmortalen Persönlichkeitsschutz und damit verbundene Rechte wie den Datenschutz. «Wenn wir sterben, hören wir rechtlich auf, eine Person zu sein.»
Frei war an der Studie der TA-Stiftung beteiligt und befasste sich mit der Frage: Was, wenn auf digitalen Gedenkplattformen plötzlich verletzende oder falsche Informationen über Verstorbene auftauchen? «Die Angehörigen können etwa falsche Daten nicht löschen oder berichtigen lassen» bilanziert Frei. «Hier besteht eine gesetzliche Lücke.» Eine Lücke, die die Politik mit der Revision des Datenschutzgesetzes vor zwei Jahren nicht geschlossen hat.
Wenn Science-Fiction Realität wird
Auch Studienleiter Strub sieht bei der digitalen Trauer heikle Entwicklungen. Dann etwa, wenn Hinterbliebene den Austausch mit den Verstorbenen selber am Leben zu erhalten versuchten. Über speziell dafür entwickelte Chatroboter, sogenannte ‹Deadbots›.
Klingt nach Science-Fiction. Solche Angebote sind in China aber schon Realität. Da kann die Tochter den Chatroboter, der mit den Daten des verstorbenen Vaters gespiesen wurde, um Rat fragen. Oder es kann die Mutter dem Chatroboter, der mit den Daten des verstorbenen Kindes trainiert wurde, gute Nacht sagen.
Chatroboter könnten zwar Angehörigen über den ersten Trauermoment hinaushelfen, so Strub, der Trauerprozess insgesamt gehe aber häufig länger. Bis jetzt seien solche Angebote absolute Randphänomene. In der Schweiz sei ihnen kein Fall bekannt. Die Entwicklung lässt aber vermuten: Es ist eine Frage der Zeit.