Die unbekannte und mysteriöse Welt unter der Wasseroberfläche fasziniert die Menschen seit jeher. Gesunkene Schiffe, Flugzeuge oder Autos sind Zeitzeugen, die Einblicke in das Leben vergangener Epochen geben. Sie können aber auch Nährboden für Spekulationen sein. Etwa im Falle der «Titanic». So wird über die genauen Gründe des Unglücks auch 111 Jahre nach dem Untergang noch gestritten.
Nicht zuletzt deshalb scheint die Faszination «Titanic» schier ungebremst. Längst werden Tauchgänge zum Wrack auch für Abenteurerinnen und Abenteurer angeboten. Dass diese keinesfalls ungefährlich sind, zeigte jüngst das Beispiel des U-Boots «Titan», das während eines Tauchgangs implodierte und fünf Menschen das Leben kostete.
Doch nicht nur die Weltmeere, auch die Tiefen der Schweizer Seen sind Spielwiesen für Abenteurer, Sporttaucher oder Hobby-Unterwasserarchäologinnen. Dem tut auch das trübe Wasser und die damit verbundene schlechte Sicht keinen Abbruch. Im Gegenteil. Es scheint die Faszination für die stillen Zeitzeugen in Schweizer Seen gar noch zu steigern.
Kein Wunder, denn Dutzende oder Hunderte Meter unter der Wasseroberfläche findet man einige «Schätze»: gesunkene Schiffe, Autos oder Überreste von Pfahlbausiedlungen.
Wracktauchen in der Schweiz ist zwar ein Nischenhobby. Doch diverse Tauchschulen bieten in verschiedenen Schweizer Seen Tauchgänge an, um die Faszination einem grösseren Kreis zugänglich zu machen. Auch Kurse für Unterwasserarchäologie sind auf den Webseiten verschiedener Tauchschulen zu finden.
Die gesunkenen Dampfschiffe im Bodensee
Besonders beliebt bei Wrack-Taucherinnen und -Tauchern ist der Bodensee. Dort befindet sich bei Bottighofen (TG) nahe Kreuzlingen das wohl berühmteste Schiffswrack der Schweiz, die «Jura». Das Dampfschiff ging bei einem Unfall am 12. Februar 1864 unter.
Bei dichtem Nebel stiess die «Jura» mit einem anderen Schiff, der «Stadt Zürich», zusammen. Beim Aufprall verlor ein Matrose sein Leben, ein anderer wurde schwer verletzt. Alle anderen Passagiere und Besatzungsmitglieder der «Jura» konnten sich selbst retten.
Beinahe 90 Jahre lang blieb das Wrack der «Jura» unentdeckt. 1953 wurde es erstmals gefunden, 1960 dann zum ersten Mal untersucht. Hielten die Entdecker den Fundort vorerst noch geheim, wurden immer mehr Taucherinnen und Taucher auf die «Jura» aufmerksam. Und Tauchgänge zur «Jura» wurden bald auch kommerziell vermarktet.
Für diesen Hype war auch das Schweizer Fernsehen mitverantwortlich. 1986 wurde eine Sonderausgabe der Fernsehsendung «Karussell» über die «Jura» gesendet. Moderator Kurt Aeschbacher nahm die Zuschauerinnen und Zuschauer live mit auf eine Tauchexpedition zum Wrack. «Zum ersten Mal in der Geschichte des europäischen Fernsehens», wie Aeschbacher in der Anmoderation der Sendung sagte. Die ungewöhnliche Sendung steigerte die Bekanntheit der «Jura» immens.
Doch bald wurden auch die Schattenseiten dieses Tauchtourismus sichtbar. Durch die mehrfache Suche mit Schleppankern wurde die «Jura» stark beschädigt. Ausserdem steckten Taucherinnen und Taucher immer öfters auch Souvenirs von der Jura ein. Das Schiff samt Inhalt ist dadurch akut gefährdet. Um die Zerstörung des Wracks zu stoppen, nahm der Kanton Thurgau die «Jura» 2004 in seinen Besitz und stellte das Wrack unter Schutz. Es gilt heute offiziell als «Unterwasser-Industriedenkmal».
Aber weshalb wurde die «Jura» eigentlich nie aus dem Wasser geborgen? Tatsächlich war dies einmal geplant. Als Ludwig Hain im Februar 1953 die «Jura» per Zufall entdeckte, wollte sein damaliger Arbeitgeber, ein Schrotthändler, das Wrack heben und es dann als Restaurant vermarkten. Er verstarb aber noch in der Planungsphase und die «Jura» wurde nie an Land geholt.
Pläne für eine Bergung gibt es dafür für ein anderes Schiff im Bodensee: für den Raddampfer «Säntis», der vor 90 Jahren im Bodensee versenkt wurde. Er war damals ausgemustert worden. 2013 wurde das Wrack per Zufall entdeckt, als ein internationales Forschungsteam den Bodensee vermessen hatte.
Und dieses Wrack soll nun aus rund 200 Metern Tiefe an die Oberfläche geholt werden. Doch es sind ambitionierte Pläne, welche der Schiffsbergeverein Romanshorn im April präsentierte. Eine solche Bergung hat es im Bodensee noch nie gegeben. Die grösste Hürde neben der technischen Machbarkeit ist die Finanzierung.
Der Schiffbergeverein Romanshorn hat dafür eine Sammelaktion per Crowdfunding gestartet. Falls die Finanzierung zustande kommt und die «Säntis» gehoben werden kann, würde sie in Romanshorn auf einer Wiese am Hafen aufgestellt.
Das Wrack «Roger Federer» im Zürichsee
Grosse Dampfschiffe wurden auch in vielen anderen Schweizer Seen gefunden – etwa im Genfersee oder im Thunersee. Im Zürichsee wurde Adelrich Uhr, Hobby-Unterwasserarchäologe, bisher aber nicht fündig. Doch Uhr und sein Verein, die «Swiss Archeo Divers», wollen nicht so schnell aufgeben.
Die Schale des Dampfschiffs «Helvetia» zum Beispiel, das in den 1960er-Jahren verschrottet wurde, liegt noch heute in den Tiefen des Obersees. Bei Noulen im Kanton Schwyz wurde das Wrack versenkt und in den 90er-Jahren von einem Schiff-Oldtimer-Verein wiederentdeckt. «Ein Dampfschiff dieser Grösse zu finden, wäre schon toll», schwärmt Uhr.
Gefunden hat der 63-Jährige aber bereits viele andere Wracks im Zürichsee, zwischen 60 und 80 an der Zahl. Häufig handelt es sich um Fischer- oder Transportschiffe, die im 18. und 19. Jahrhundert gesunken sind. Nicht alle erzählen so spannende Geschichten wie jene Dampfer im Bodensee. Oder man muss zuerst nach ihnen suchen. Dieser Leidenschaft hat sich Adelrich Uhr seit vielen Jahren verschrieben. Über seine Funde recherchiert er aufwendig in den Zeitungsarchiven.
Wir wussten, dass Roger Federer dort gerade sein neues Haus baut. Dann war uns sofort klar – wir benennen es nach ihm.
Auf einen Fund ist Adelrich Uhr besonders stolz. Ein Ledischiff, also ein Transportschiff, das wohl vor 1790 in Feldbach untergegangen ist. Es sei das älteste Wrack, das er bisher gefunden habe, sagt Uhr. Speziell ist daher auch der Name. Das Wrack trägt den Namen «Roger Federer». «Wir wussten, dass Roger Federer dort gerade sein neues Haus baut. Dann war uns sofort klar – wir benennen es nach ihm.»
Das königliche Cabriolet im Vierwaldstättersee
Es sind aber längst nicht nur gesunkene Schiffe, die als stumme Zeitzeugen auf dem Grund von Schweizer Seen liegen. Das wohl bekannteste Wrack im Vierwaldstättersee ist ein Auto, hinter dem eine tragische Geschichte steckt. Es war das Unglücksauto, in dem Astrid, die Königin von Belgien, ums Leben kam. Das Unglück liegt fast 90 Jahre zurück.
Es war der 29. August 1935. An einem sonnigen Sommertag waren König Leopold III. von Belgien und Königin Astrid in ihrem Packard-Cabriolet auf der Seestrasse zwischen Merlischachen und Küssnacht unterwegs. Da passierte es: Der Lenker war kurz abgelenkt, der Wagen touchierte den Randstein, und das Luxus-Cabriolet donnerte gegen einen Baum.
Königin Astrid wollte offenbar noch aus dem fahrenden Auto springen, doch dann prallte der Wagen gegen einen zweiten Baum. Beide wurden aus dem Auto geschleudert. Dann kam der «Packard» im Schilf des Vierwaldstättersees zum stehen.
König Leopold III. kam mit Schürfungen, Schnittwunden und einer Gehirnerschütterung davon. Doch Königin Astrid auf dem Beifahrersitz überlebte den Unfall nicht. Die Nachricht über den Tod der belgischen Königin verbreitete sich darauf wie ein Lauffeuer. Zeitungen auf der ganzen Welt berichteten über das tragische Schicksal im Königshaus. Und bald schon pilgerten ganze Reisegruppen an die Unfallstelle in Küssnacht am Vierwaldstättersee.
Doch was geschah mit dem Auto? Es wurde zuerst in einer Autowerkstatt untersucht. Auf Wunsch von König Leopold III. wurde das Auto dann im Vierwaldstättersee versenkt. Dort, auf der Höhe von Schloss Meggenhorn, soll das Wrack noch heute in 200 Metern Tiefe liegen.
Vor einigen Jahren gab es Medienberichte, dass das Wrack vom deutschen «Schatzsucher» Klaus Keppler geortet worden sei. Ein Team des deutschen Fernsehsenders Pro 7 war beim Tauchgang dabei.
Das königliche Cabriolet im Vierwaldstättersee stammt aus noch relativ junger Vergangenheit. In den Tiefen der Schweizer Seen befinden sich archäologische Schätze, die bereits mehrere tausend Jahre im Wasser existieren.
Wie Luzern plötzlich 2000 Jahre älter wurde
Im Jahre 2003 machte ein Sporttaucher im Vierwaldstättersee einen spektakulären Zufallsfund. Bei Kehrsiten im Kanton Nidwalden fielen ihm Holzpfähle auf dem Seegrund auf. Nach archäologischen Abklärungen stellte sich heraus, dass es sich um Überreste aus der Jungsteinzeit handelt, datiert auf ungefähr 4000 Jahre vor Christus.
Es ist nur eine von vielen Fundstellen in der Schweiz. Kaum irgendwo auf der Welt wurden so viele Pfahlbausiedlungen entdeckt wie im Alpenraum. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Siedlungen am Zürichsee entdeckt. Seit 2011 gehören 111 Pfahlbaudörfer rund um die Alpen zum Unesco-Weltkulturerbe, 56 davon liegen in der Schweiz.
Dass Überreste von Pfahlbausiedlungen über Tausende Jahre erhalten geblieben sind, hat mit den optimalen Bedingungen unter Wasser zu tun. Unter Sauerstoffausschluss zersetzen sich organische Materialien nicht oder viel weniger schnell. So fanden Archäologinnen und Archäologen etwa Körbe, Netze oder Geräte aus Holz. Sie sagen besonders viel aus darüber, wie die Menschen damals gelebt haben.
Einen besonders aussergewöhnlichen Fund machten Archäologinnen und Archäologen vor zwei Jahren im Luzerner Seebecken. Reste einer Pfahlbausiedlung beweisen es: Die Stadt Luzern war bereits vor 3000 Jahren besiedelt und ist damit plötzlich offiziell 1800 Jahre älter als zuvor angenommen.
Entdeckt wurden die Pfahlbauten aus der Bronzezeit per Zufall. Als der städtische Energiekonzern eine Seewasserleitung bauen wollte, kamen rund 30 prähistorische Pfähle und fünf Keramikscheiben zum Vorschein. Die Fundstelle liegt rund 400 Meter vom Ufer entfernt und vier Meter unter dem Seespiegel.
Die geborgenen Pfähle, die seit Tausenden von Jahren im Boden stecken, sind sehr gut erhalten. Das Holz ist aussen ganz weich und innen hart. Es sind Zeitzeugen in unseren Seen, die einen Einblicke in das Handwerk und das alltägliche Leben der Menschen geben, die vor mehreren tausend Jahren gelebt haben. Es sind «Schätze», die weit unter der Wasseroberfläche in Schweizer Seen ruhen.