Es sind längst nicht mehr nur einzelne Schlaumeier, welche die Autobahn A2 Richtung Süden durchs Urner Reusstal bei Stau verlassen: Gerät der Verkehr vor dem Gotthard ins Stocken, weichen mittlerweile kolonnenweise Automobilistinnen und LKW-Fahrer auf die Kantonsstrasse aus. Zum Unmut der Bevölkerung. Denn ob Ambulanz, Feuerwehr oder Linienbus: Sie alle werden durch die Blechlawinen ausgebremst.
Gerade an den Wochenenden reihe sich Stossstange an Stossstange, erzählt Gina Eigensatz, die in Wassen ein Café führt. Auf dem Zebrastreifen die Strasse queren? Einfacher gesagt, als getan. Auch wegen gefährlicher Überholmanöver. Und: «Selbst in der Nacht hört es nicht auf mit dem Verkehr. Man kann nicht einmal mehr in Ruhe schlafen.»
Arg strapaziert ist der Geduldsfaden bei jenen, die Termine einhalten müssen. Zu ihnen gehört Andrea-Franziska Meyer, die als Pastoralassistentin im ganzen Urner Oberland unterwegs ist. «Wenn ich am Sonntag um 9:15 Uhr in Göschenen einen Gottesdienst habe, muss ich spätestens nach 8 Uhr aus dem Haus – für eine Strecke, die sonst in einer Viertelstunde zu bewältigen ist», sagt Meyer. «Man weiss nie, was man auf der Strasse antrifft.»
Häufig reicht es nicht, die Fahrgäste rechtzeitig auf die Matterhorn-Gotthard-Bahn zu bringen.
Den Fahrplan einzuhalten, sei ein Ding der Unmöglichkeit, sagt denn auch Markus Berchtold, Bus-Chauffeur bei der Auto AG Uri. Eine Stunde und acht Minuten dauert seine Route von Flüelen nach Göschenen – theoretisch. «Häufig reicht es nicht, die Fahrgäste rechtzeitig nach Göschenen auf die Matterhorn-Gotthard-Bahn zu bringen.»
IG und Urner Ständeräte machen Dampf
Gestank, Lärm und verstopfte Strassen: Diese Situation will die Interessengemeinschaft IG Kanton Uri nicht länger hinnehmen. Vor allem, da sich das Problem massiv verschärft hat. Diesen Sommer haben die Stau-Stunden vor dem Gotthard-Tunnel – im Vergleich zu 2019 – um 31 Prozent zugenommen.
Mit einer Online-Petition fordert die IG Bundesrätin Simonetta Sommaruga, das Bundesamt für Strassen (Astra) sowie den Kanton Uri zum Handeln auf. «Es braucht dringend einen gesunden Dialog zwischen allen Beteiligten», sagt Mitinitiant Jonathan Imhof aus Intschi.
Auch in Bundesbern machen die Urner Druck – jüngst in der Herbstsession der eidgenössischen Räte. «Wir hatten in diesem Jahr unhaltbare und sehr belastende Zustände, an Auffahrt, an Ostern und den ganzen Sommer über», sagte Ständerätin Heidi Z'graggen (Mitte/UR).
Zeitweise habe es für die Einheimischen «fast kein Durchkommen» mehr gegeben. «Die Wohnqualität der Bevölkerung ist massiv geschwächt», so Z'graggen.
Wir hatten in diesem Jahr unhaltbare und sehr belastende Zustände.
Das Astra solle über den Winter «konkrete Handlungen» ausarbeiten, welche die Situation im kommenden Sommer entschärfen, forderte sie in der kleinen Kammer. Z'graggens Amtskollege Josef Dittli (FDP/UR) pflichtete ihr bei: «Ab drei, vier Kilometern Stau nutzen die Autos, Wohnwagen und Cars unsere Kantonsstrassen als Transitroute in den Süden. Es ist eine Zumutung.»
Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga reagierte mit Verständnis. Sie werde mit dem Astra prüfen, ob es schnell umsetzbare Lösungsansätze gebe, betonte aber: «Zaubern kann das Astra auch nicht.»
Dass sich der Ausweichverkehr nicht von heute auf morgen in Luft auflösen wird, weiss auch Jonathan Imhof von der IG Kanton Uri. «Wir haben ein Nadelöhr hier oben, es ist nicht einfach», sagt Imhof. «Aber bislang wurden noch nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Situation zu beruhigen.»