Schlossermeister Roger Nägelin steht in seiner Werkstatt in Kaiseraugst. Die Auftragsbücher sind voll, doch die Perspektive ist düster. «Das Wasser steht uns über der Nase.»
Eigentlich geht es der Schweizer Baubranche gut, ein Grossprojekt folgt auf das nächste. Dennoch enden Bauprojekte oft in Rechtsstreitigkeiten, wie im Fall von Nägelin. In seiner Schlosserei beschäftigt er zehn Mitarbeiter. Er weiss nicht, ob er die Löhne in einigen Monaten noch bezahlen kann.
Jahrelanger Streit ums Geld
Nägelin wartet auf viel Geld. Aus dem letzten Grossauftrag – Schlosserarbeiten für ein Basler Hochhaus – sind mehr als 110'000 Franken ausstehend. «Das ist existenzbedrohend für meine Firma.» Seit über drei Jahren kämpft er mit dem verantwortlichen Generalunternehmen Steiner AG, der Fall liegt vor Gericht. Hintergrund ist ein Rechtsstreit zwischen der Steiner AG und der Auftraggeberin Baloise AG.
SRF Investigativ hat Kenntnis von mehreren weiteren Fällen, bei denen Handwerker mit Generalunternehmen um hohe Summen streiten. Forderungsbriefe, Betreibungen und Klageschriften geben Einblick in die Streitfälle. In den Dokumenten zeigt sich ein Muster: Generalunternehmen stellen Zahlungen nach dem letzten Handgriff auf der Baustelle ein, bestreiten Arbeiten und beklagen Mängel. Rechtsstreitigkeiten ziehen sich über Jahre hin. Oft geht es um Hunderttausende von Franken.
Betreibungen über Millionen
In der Kritik stehen die drei Generalunternehmen Steiner AG, Implenia und HRS Real Estate. Ein Betreibungsregister der Steiner AG zeigt mehr als 80 Positionen in der Höhe von 26 Millionen Franken.
Alle drei Unternehmen weisen die Vorwürfe zurück. Die Steiner AG schreibt, sie sei ihren Verpflichtungen stets nachgekommen, die Zahl der Betreibungen sei für die Branche nicht unüblich. HRS teilt mit, das Unternehmen habe keine laufenden Rechtsfälle und zahle Rechnungen innert 30 Tagen. Implenia sagt, man habe die Zahl der Streitigkeiten zuletzt sogar gesenkt. Konflikte würden partnerschaftlich und transparent gelöst.
Risiken werden weitergegeben
Wie oft Bauprojekte in Streit enden, dazu gibt es keine Zahlen. Verschiedene Branchenvertreter bestätigen aber den Trend: «Es ist leider eine Tendenz, die in den letzten Jahren immer mehr zugenommen hat», sagt Thomas Weibel, Vizedirektor des Baumeisterverbands. Ein Grund: Die Auftraggeber schieben Risiken auf Subunternehmen ab.
Diese Entwicklung könnte für den Bau zum Problem werden: Streit treibt Kosten in die Höhe und gefährdet die Qualität. Zahlreiche etablierte Handwerkbetriebe sagen gegenüber SRF Investigativ, sie würden nicht mehr für Generalunternehmen und Grossprojekte arbeiten.
Lösung gesucht
Die Baubranche ist sich einig: Es braucht Veränderung. Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA fordert ein neues Vertragsmodell.
In Zukunft sollen auf dem Bau gleichberechtigte Partner gemeinsam die Risiken tragen und zentrale Entscheide fällen. Dieses sogenannte «Allianzmodell» hat sich bereits in verschiedenen Ländern etabliert. Die Hoffnung: Es soll Streit verhindern und sicherstellen, dass kein Betrieb auf offenen Rechnungen sitzen bleibt.