Die Wölfe in der Schweiz haben in den letzten Tagen für Schlagzeilen gesorgt. Im Kanton Glarus wurden Schafe gerissen, im Kanton Graubünden kam ein Wolf einer Hirtin und ihrem Hund nahe und wenige Tage später traf eine Wandergruppe oberhalb von Sufers/GR auf mehrere Wölfe. Trotzdem sagt David Gerke, Präsident der Gruppe Wolf Schweiz: In der Schweiz hat es Platz für das Grossraubtier.
SRF News: Wie gefährlich sind solche Begegnungen mit Wölfen?
David Gerke: Die Begegnungen mögen für Menschen als gefährlich erscheinen. Grundsätzlich muss man auch genau hinschauen. Was aber jetzt im Kanton Graubünden passiert ist, deutet nicht darauf hin, dass wirklich eine Gefahr für die Menschen bestanden hat.
Wölfe können in der Schweiz sehr gut leben und sich auch integrieren.
Jungwölfe sind von Natur aus etwas neugieriger. Wenn ein Hund angegriffen wird, ist das selbstverständlich nicht erwünscht – aber auch keine Gefahr für den Menschen. Wölfe betrachten einen Hund als Eindringling in ihr Revier. Mit der menschlichen Präsenz hat das nichts zu tun.
In einem Fall haben die Wölfe einen Hund angegriffen – im Beisein der Hirtin. Auch die Bündner Kantonsbehörden erachten das Verhalten der Wölfe als problematisch und potenziell gefährlich. Das muss man doch ernst nehmen?
Absolut. Wölfe sind Wildtiere und ihr Verhalten ist für uns schwer zu verstehen. Für uns Menschen sind sie ein Stück weit unberechenbar. Das Wolfsverhalten muss deshalb immer beobachtet werden. Man muss schauen, was die Wölfe machen, wie sie sich verhalten, und wie sich dieses Verhalten entwickelt.
Selbstverständlich braucht es da gewisse Regeln, die man festlegt. Diese Regeln halten fest, welches Wolfsverhalten in Ordnung ist und wann man eine Grenze zum unerwünschten Verhalten zieht, das man nicht mehr tolerieren kann. Wenn Wölfe einen Hund im Beisein ihrer Besitzer angreifen, ist das selbstverständlich ein Verhalten, das nicht tolerierbar ist. Hier ist ein Eingriff in dieses Rudel gerechtfertigt. Trotzdem bleibt festzuhalten: Eine Gefahr für den Menschen besteht unmittelbar nicht.
Der Kanton Graubünden hat beim Bund eine Abschussbewilligung für Jungtiere des Rudels und das Vatertier beantragt. Ist das aus Ihrer Sicht das richtige Vorgehen?
Die Schweiz ist eine Kulturlandschaft. Wölfe können in Kulturlandschaften sehr gut überleben und sich hier sehr gut integrieren. Klar ist aber auch: In Kulturlandschaften braucht es Grenzen. Es braucht Wölfe, die sich scheu verhalten und ein Verhalten aufweisen, das wir uns von ihnen wünschen. Nämlich, dass sie ein Teil des Ökosystems sind.
Einen Wolf präventiv irgendwo im Wald oder auf den Bergen abzuschiessen bringt nichts.
Gerade deshalb ist klar, dass man das Verhalten von Wölfen, die sich Menschen zu sehr annähern, nicht akzeptieren kann – und in diesem Fall Wölfe auch regulieren kann. Den Eingriff im genannten Fall braucht es wohl.
Wie sinnvoll ist es zuzuwarten, bis eine Situation potenziell gefährlich ist? Müsste man dem Wolf nicht auch präventiv engere Grenzen setzen?
Einen Wolf präventiv irgendwo im Wald oder auf den Bergen abzuschiessen bringt nichts. Wenn man Wolfsrudel erziehen will, muss man sie dort erziehen, wo sie das unerwünschte Verhalten aufweisen. Wenn sich ein Wolfsrudel in unmittelbarer Dorfnähe aufhält, kann es eine Verhaltensänderung bewirken, wenn man dort Regulationsabschüsse macht. Präventive Regulationsabschüsse, die nicht in solchen unerwünschten Situationen stattfinden, bringen rein gar nichts im Hinblick auf die Vermeidung von weiteren Konflikten.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.