- Das Bundesgericht hat die Verurteilung des ehemaligen Vizepräsidenten der Sterbehilfeorganisation Exit Schweiz Romandie, Pierre Beck, aufgehoben.
- Der pensionierte Arzt war wegen Verstosses gegen das Heilmittelgesetz verurteilt worden.
- Die Genfer Justiz muss sich nach dem Urteil des Bundesgerichts unter dem Gesichtspunkt des Betäubungsmittelgesetzes erneut mit dem Fall befassen.
Pierre Beck hatte im Jahr 2017 einer gesunden 86-Jährigen geholfen, zusammen mit ihrem schwer kranken Mann zu sterben. Er war dem Wunsch der Frau nachgekommen und hatte ihr das in Überdosen tödlich wirkende Schlafmittel Natriumpentobarbital verschrieben. Das Mittel verabreichte die Frau sich dann selbst.
Nach Ansicht des Genfer Berufungsgerichts hatte der frühere Arzt gegen das Heilmittelgesetz (HMG) verstossen, als er dem Wunsch der 86-jährigen Frau entsprach und ihr das Medikament verschrieb. Deshalb verurteilte die Genfer Justiz den pensionierten Arzt im Jahr 2020 zu einer bedingten Geldstrafe bei einer Probezeit von drei Jahren.
Das höchste Schweizer Gericht kommt nun aber zu einer anderen Einschätzung als das Kantonsgericht – mit einer knappen Mehrheit von drei zu zwei Stimmen hat es am Donnerstag das Urteil aufgehoben. Jetzt muss sich die Genfer Justiz erneut mit dem Fall befassen.
Betäubungsmittel statt Heilmittel
Nach Ansicht der Lausanner Richter muss nämlich in diesem Fall das Betäubungsmittelgesetz zur Anwendung kommen und nicht das Heilmittelgesetz. Grund dafür ist, dass der Angeklagte das Mittel an eine gesunde und nicht an eine kranke Person weitergegeben hat.
Wie das Bundesgericht in seinem Urteil festhält, hatte es deshalb nur zu entscheiden, ob sich der Westschweizer Ex-Arzt mit der Verschreibung von Natriumpentobarbital an eine gesunde Person strafbar machte. Weiter steht, dass das Heilmittelgesetz auf Betäubungsmittel wie Natriumpentobarbital Anwendung finde, soweit diese als Heilmittel eingesetzt würden.
Sowohl die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) als auch der Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) verträten aber die Auffassung, dass es sich bei der Suizidhilfe nicht um einen medizinischen Akt handle.
Bei einem krankheitsbedingten Suizidwunsch verfolge die Verabreichung von Natriumpentobarbital zumindest im weitesten Sinne einen therapeutischen Zweck - nämlich die Verkürzung von Leiden. In diesem konkreten Fall handle es sich aber offensichtlich nicht um einen Suizidwunsch, der durch eine Krankheit bedingt gewesen sei.
Freitod einer gesunden Person liegt vor
Es liege darum ein sogenannter «Bilanzsuizid» einer gesunden Person vor, urteilte das Bundesgericht. Darunter verstehen Experten einen Freitod, der auf einer mehr oder weniger rationalen Abwägung von Lebensumständen basiert.
Laut Bundesgericht liegt bei einem «Bilanzsuizid» einer gesunden Person für die Verschreibung von Natriumpentobarbital keinerlei medizinische Indikation vor. Das Mittel werde dabei auch nicht im weitesten Sinne therapeutisch eingesetzt.
Die Lausanner Richter kamen deshalb zum folgenden Schluss: «Damit fällt eine Verurteilung wegen Abgabe von Natriumpentobarbital auf Basis des HMG im vorliegenden Fall ausser Betracht und erweist sich als bundesrechtswidrig.» Damit bleibe zu prüfen, ob die Verschreibung von Natriumpentobarbital an eine gesunde Person nach dem Betäubungsmittelgesetz zu sanktionieren wäre.