Die Wahl von Esther Friedli in den Ständerat ist für die SVP ein Triumph, für die SP eine herbe Niederlage. Das Resultat wirft Fragen auf. Ein Politologe ordnet ein.
SRF News: Warum gewann Esther Friedli so deutlich gegen Barbara Gysi?
Die SVP erarbeitete sich im ersten Wahlgang einen grossen Vorsprung. Für den zweiten sprach sich die FDP für Friedli aus. Gysi hatte Mühe, die Mitte zu mobilisieren. Sie unternahm relativ wenig. Friedli konnte bei einem eher lauen Wahlkampf einen Start-Ziel-Sieg feiern.
Friedli gab sich staatsmännisch, verzichtete auf Angriffe und «frass Kreide».
Die SVP hatte in St. Gallen noch nie einen Sitz im Ständerat. Was gelang Friedli, was ihren Vorgängern nicht gelang?
Die SVP als starke Kraft gibt es erst seit den 90er-Jahren. Das Fenster, in dem sie gewinnen konnte, ist noch gar nicht so lang. Friedli gab sich staatsmännisch, verzichtete auf Angriffe und «frass Kreide». In der zweiten Runde war zwischen der SP und der FDP Geschirr zerschlagen. Das führte wohl dazu, dass viele der FDP am Schluss für die SVP stimmten.
Der Startvorteil der SP verpuffte schnell.
Was machte Gysi im Wahlkampf falsch?
Man hätte Friedli in diesen Themen herausfordern müssen, welche die Mitte nicht mitträgt: Klimapolitik, Sozialpolitik, die Beziehung zur EU oder der Ukraine-Konflikt – da sind ihre Positionen nicht nur mehrheitsfähig. Das hätte man hervorheben müssen.
Warum konnte Gysi den Lauf von Paul Rechsteiner nicht fortsetzen?
Es ist etwas anderes, wenn ein bekannter Kandidat einen Sitz verteidigt oder eine neue Kandidatin den Sitz für die Partei verteidigen muss. Rechsteiner trat gegen eine aggressivere SVP an, die eben auch die Mitte angriff. So trieb die SVP Stimmen von der damaligen CVP und der FDP nach links.
Das machte Friedli heuer nicht, sondern gab sich defensiv. Sie fährt die Strategie der zurückhaltenden Kommunikation, darauf hätte man sich vorbereiten können. Mit ihrer verträglichen Art versucht sie zu verhindern, dass sie mit ihren harten SVP-Positionen konfrontiert wird.
Rechsteiner trat Ende Jahr zurück, das wurde als politischer Schachzug interpretiert. Aber schliesslich brachte das gar nichts.
Das muss nicht heissen, dass es eine schlechte Idee war. Mit dem überraschenden Rücktritt hatte die SP einen Startvorteil. Dieser verpuffte, weil auch die anderen Parteien relativ schnell fähige Kandidatinnen aus dem Hut zauberten. Von da an war es ausgeglichen.
Es gab über 9000 Stimmen, die an Diverse gingen. Was sagt das aus?
Man muss auch die niedrige Wahlbeteiligung von 39 Prozent betrachten. Das ist ein Zeichen, dass viele Leute entweder zu Hause blieben und oder die Auswahl nicht interessant fanden. Ich denke, viele davon dürften von der politischen Mitte sein, also bei der FDP, der Mitte oder vielleicht auch noch vereinzelt von der GLP.
Für die SP wird es im Ständerat immer prekärer. So driften die beiden Kammern auseinander.
Seit Sonntag hat St. Gallen wieder zwei Bürgerliche im Ständerat. Wie wird man das spüren?
Diese Wahl wirft nicht plötzlich die Mehrheit über den Haufen. Die Mehrheit liegt bei der Mitte und der FDP. Die Präsenz der SP wackelt aber. Und Esther Friedli kann mit dem Bisherigen-Bonus in den Herbst. Das ist ein Vorteil. Für die SP wird es im Ständerat immer prekärer. So driften die beiden Kammern auseinander. Grün-Rot ist im Nationalrat stark. So könnten sich die Kammern immer mehr blockieren. Kurzfristig ändert sich nichts.
Inwiefern ist das St. Galler Wahlergebnis ein Gradmesser für die nationalen Wahlen?
Seit einigen Monaten stehen die Zeichen auf SVP-Aufwind. Zudem zeichnen sich auf Grünen-Seite Mobilisierungsprobleme ab. Die Welle ebbt ab. Das könnte sich auch im Herbst zeigen. Für die anderen Partei sieht es nach Status Quo aus.
Das Gespräch führte David Lendi.