Wenn der geliebte Partner zum Schläger wird. Ein Tabu, über das man nicht gern spricht. Daher bieten Beratungsstellen wie die «Dargebotene Hand» ihre Hilfe vermehrt auch mit Online-Chats an. Mit Erfolg. Im Vergleich zur Telefon-Beratung über die Nummer 143 waren es vergangenes Jahr viermal mehr Anfragen per Online-Chat. Doch lange nicht alle Betroffenen haben den Mut, sich an Beratungsstellen oder die Polizei zu wenden.
Grosse Hemmschwelle
Das zeigt das Beispiel von «Valentina», der Name wurde zu ihrem Schutz geändert. Einen Monat nach der Heirat wird ihr Mann zum ersten Mal gewalttätig: «Er schleuderte mich so gegen einen Wandschrank, dass ich den Abdruck des Türgriffs noch fast zwei Monate lang am Rücken hatte.»
Nach der Geburt der Kinder reicht eine Nichtigkeit, damit der Mann zuschlägt, z.B. ein Essen, das ihm nicht passt. Schliesslich beginnt er, auch den Kindern gegenüber aggressiv zu werden: «Vor allem meine Tochter erinnert sich noch an die Momente, in denen ich versucht habe, die Schläge abzubekommen, damit die Kinder verschont blieben.»
Die Polizei gerufen oder eine Beratungsstelle aufgesucht hat Valentina während über zehn Jahren Beziehung nie. Aus Angst, er könnte es ihr danach erst recht mit Schlägen heimzahlen. Und: «Weil er eine bekannte Person war, die von fast allen gemocht wurde. Er redete mir immer ein, er könne die Polizisten davon überzeugen, dass ich schuld sei, dass ich krank sei, unzuverlässig und keine gute Mutter.»
Signifikate Zunahme bei Tätlichkeiten
Die häufigsten Formen von häuslicher Gewalt sind Tätlichkeiten und Drohungen. Dies zeigen Zahlen des Bundesamts für Statistik: 2017 waren es gesamtschweizerisch 5’369 Tätlichkeiten, die zur Anzeige gebracht wurden. 2018 stieg diese Zahl um 7 Prozent an. Bei den Drohungen wurden 2017 fast 3800 Fälle verzeichnet. 2018 waren es 9 Prozent mehr.
Besonders Anzeigen bei Tätlichkeiten sind in den letzten Jahren stark angestiegen – seit 2014 um nicht weniger als 23 Prozent.
Gemäss verschiedener Studien gehe man davon aus, dass nur 15 bis 20 Prozent der Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen seien, überhaupt je eine Anzeige machen würden, sagt Pia Allemann von der Beratungsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft BIF in Zürich: «Die meisten Frauen sagen uns: ‘Ich will eigentlich nicht, dass er bestraft wird, ich will, dass die Gewalt aufhört.’ Eine Bestrafung bedeutet oft, dass der Mann entweder im Gefängnis landet oder dass er eine Geldstrafe zahlen muss. Das wirkt sich aufs Familienbudget aus.»
Doch wie erreicht man jene Betroffenen, die den Schritt in eine Beratungsstelle nicht schaffen? Die «Dargebotene Hand» ist derzeit dabei, ihre Kapazitäten bei Online-Chats zwischen 10 und 22 Uhr mit zusätzlichem Personal weiter auszubauen. Denn die Erfahrung der letzten Jahre zeigt: Im Vergleich zur Telefon-Beratung ist die Hemmschwelle online tiefer, sich Hilfe zu holen. Dies stellt auch die BIF fest. Sie hat ab 2020 dreimal mehr Stellenprozente für die Online-Beratung zur Verfügung als noch vor zwei Jahren.