Ab Montag kann man in der Schweiz wieder ins Kino, man kann im Fitness-Center trainieren, oder im Restaurant essen, zumindest auf den Terrassen. Es könnte fast der Eindruck entstehen, die Corona-Pandemie neige sich dem Ende zu. Wenn man jedoch die Neuinfektionen betrachtet, sehen wir uns nach wie vor im Anstieg zu einer dritten Welle. Die Wissenschaft mahnt deshalb die Menschen, sich trotz Öffnungen vorsichtig zu verhalten. Martin Ackermann ist Chef der Covid-Taskforce, die dem Bundesrat in der Pandemie eigentlich wissenschaftlich beratend zur Seite steht. Für die jüngsten Beschlüsse sei die Task-Force allerdings nicht konsultiert worden, sagt er im Interview.
SRF News: Hatte die Taskforce vorab Kenntnisse von den Öffnungsschritten, welche der Bundesrat am Mittwoch bekannt gab?
Martin Ackermann: Wir wurden nicht vorgängig über diese Öffnungsszenarien informiert und konnten uns auch nicht vorgängig dazu äussern.
In welchem Rahmen können Sie sich denn zu den Öffnungen äussern?
Wir haben einen direkten und guten Austausch mit dem BAG und auch mit den Mitgliedern des Bundesrates. Beispielsweise haben wir verschiedene Öffnungsszenarien modelliert und dann auf diesen Szenarien basierend plädiert, langsam, vorsichtig und in kleinen Schritten zu öffnen.
Und so wie jetzt am Montag geöffnet wird, da haben Sie Bedenken. Warum?
Aus wissenschaftlicher Sicht geht man mit diesen Öffnungen ein Risiko ein, nicht nur für die Gesundheit, sondern auch gesellschaftlich und wirtschaftlich. Man muss sich bewusst sein, in der Schweiz sind aktuell viele Menschen ansteckend.
Wenn durch diese Öffnungen Kontakt und Mobilität zunehmen, dann wird sich auch das Virus weiter ausbreiten.
Und wenn durch diese Öffnungen Kontakt und Mobilität zunehmen, dann wird sich auch das Virus weiter ausbreiten. Das ist eine Gefahr für das Gesundheitssystem. Aber es ist auch eine Gefahr, dass man wieder schliessen muss.
Sie rechnen jetzt also mit diesen Öffnungen mit vielen Ansteckungen und vor allem vollen Intensivstationen?
Die Zukunft hängt stark davon ab, wie wir alle auf diese Öffnungsschritte reagieren. Wenn die Menschen in diesem Land die Öffnung so interpretieren, dass die Pandemie nun nicht mehr gefährlich ist, dann haben wir natürlich ein hohes Risiko, dass sich die Situation verschlechtert und wir auch wieder schliessen müssten.
Bundesrat Berset sagte, die Öffnungen sei ein vertretbares Risiko. Wie kam der Gesundheitsminister zu seiner Aussage?
Wie es zu dieser Aussage kam, kann ich natürlich nicht beantworten. Wir haben unsere Einschätzung gegeben, und diese nicht nur epidemiologisch, sondern auch wirtschaftlich abgestützt. Aber es gibt natürlich auch andere Überlegungen und andere Stimmen, die eine Rolle spielen.
Man hatte bisher eigentlich immer den Eindruck, der Bundesrat höre sehr stark auf die Taskforce. Warum ist das in diesem Fall offenbar nicht so?
Von den politischen Entscheidungen in diesem Jahr passierten viele auf wissenschaftlichen Einschätzungen. Anfang Jahr haben wir beobachtet, dass sich eine ansteckende Variante im Untergrund schnell ausbreitet. Länger Zuwarten mit Lockerungen das hatte eine klare wissenschaftliche Basis. Aber ich muss Ihnen recht geben, beim Entscheid am Mittwoch hatten andere Stimmen mehr Gewicht.
Hat die Taskforce vielleicht das Vertrauen des Bundesrats verloren?
Das denke und hoffe ich nicht. Wir können weiterhin unsere Perspektive einbringen. Ich denke, die wird weiterhin auch berücksichtigt. Aber wie ich erwähnt habe, gibt es natürlich auch andere Stimmen, die eine Rolle spielen.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.