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Tatort Bahnhof Steigende Gewalt an Bahnhöfen und in Zügen

Die Gewalt an Schweizer Bahnhöfen und in Zügen nimmt zu – knapp sechsmal am Tag kommt es zu einem Gewaltdelikt. Unterwegs mit einer Patrouille der Transportpolizei.

«Es ging sehr schnell, plötzlich hatte ich eine Faust im Gesicht.» Silvio Gerber ist Polizist bei der Transportpolizei, er hat am eigenen Leibe erfahren, wie gewalttätig es im öffentlichen Verkehr sein kann. Für den 30-Jährigen ist klar: «Es geht gröber zu und her, die Hemmschwelle zur Gewalt hat abgenommen.»

Polizist Silvio Gerber bekommt eine Anweisungen per Funk.
Legende: Ständig in Bereitschaft: Polizist Silvio Gerber bekommt seine Anweisungen häufig per Funk. SRF

Um 18 Uhr startet heute seine Patrouille, zuerst am Hauptbahnhof Zürich. Silvio durchquert zusammen mit Kollegin Chantal Beringer die Bahnhofshalle.

Hier vermischen sich Pendler und verschiedene Gruppierungen. Ein typischer Hotspot für Konflikte – für Silvio auch immer eine Stresssituation: «Man muss innerhalb von Sekunden entscheiden, ob jemand herumalbert oder ob es gleich knallt.»

Steigendes Gewaltpotenzial

Die Zahl von Gewaltdelikten an Bahnhöfen hat in den vergangenen fünf Jahren um über 15 Prozent zugenommen. Letztes Jahr kam es im Schnitt täglich zu knapp sechs Gewaltdelikten an Schweizer Bahnhöfen.

Nicht nur Gewalt an Bahnhöfen ist ein Problem. Auch das Zugpersonal wird immer wieder attackiert. Nun fordert die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV in einem Appell mehr Sicherheitspersonal. Silvio kann dies nachvollziehen: «Ich verstehe den Wunsch nach mehr Sicherheit. Wir versuchen mit unseren 220 Polizisten der Transportpolizei das Möglichste.»

Patrouille am Hauptbahnhof Zürich.
Legende: Kontrollgang beim Gleis 3 am Hauptbahnhof Zürich – einem Ort, an welchem häufig mit Crack gedealt wird. Als Gewaltdelikt gilt jedoch nur die vorsätzliche Anwendung oder Androhung von physischer Gewalt gegen Personen. SRF

Die SBB schreibt auf Anfrage, dass Tätlichkeiten und einzelne Vorfälle gegen das Personal oder Kundinnen und Kunden gröber geworden seien. Die Sicherheitslage sei gesamtschweizerisch jedoch stabil und man sei mit den Gewerkschaften im Dialog.

(Un)berechtige Kontrollen

Am Bahnhof Stadelhofen kommen Silvio und seine Kollegen mit Jugendlichen ins Gespräch, ermahnen sie bezüglich des Abfalls. Später geht es wieder zurück an den Hauptbahnhof. Doch wie entscheiden sie, wer kontrolliert wird und wer nicht? «Es gibt verschiedene Kriterien: beispielsweise die Nähe zu einer Tat oder auffälliges Verhalten», erklärt Silvio.

Ein Kritikpunkt hier ist das «Racial Profiling» – das Kontrollieren rein aufgrund von Äusserlichkeiten, die auf eine ausländische Herkunft deuten. Silvio kennt die Thematik, will auch nicht ausschliessen, dass es Polizisten gebe, die sich von der Optik leiten lassen, «ich selbst habe so etwas aber noch nie miterlebt.»

Urteil Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einem wegweisenden Urteil gegen die Schweiz entschieden, dass die Kontrolle eines Schwarzen Mannes diskriminierend war. Die Richterinnen und Richter waren einstimmig der Meinung, dass die Kontrolle diskriminierend war und dass dies die Gerichte bei der Überprüfung der Busse hätten berücksichtigen müssen. Das Gericht sei sich bewusst, dass die Situation für den Polizisten schwierig war, schreibt es: Er habe schnell entscheiden müssen und dies ohne klare gesetzliche Leitlinien.

Worum ging es im konkreten Fall?

Ein Schwarzer Schweizer pendelte im Februar 2015 zur Arbeit. Am Hauptbahnhof Zürich sah er Polizisten und wandte den Blick ab. Ein Polizist schöpfte daraufhin den Verdacht, der Mann könnte gegen das Ausländergesetz verstossen – und kontrollierte ihn. Der Betroffene weigerte sich, seinen Ausweis zu zeigen, weil ihm die Polizisten keine Gründe für die Kontrolle nannten und er sie deshalb als rassistisch empfand. Per Strafbefehl wurde er wegen Nichtbefolgens einer polizeilichen Anordnung zu einer Busse verurteilt. Dagegen wehrte sich der Mann bis vor den EGMR.

Eine aktuelle Studie aus Deutschland zeigt ein anderes Bild: Ausländisch wahrgenommene Befragte würden rund doppelt so oft kontrolliert werden als solche, auf die dies nicht zutrifft. Auch der Kriminologe Dirk Baier bestätigt, dass es in der Schweiz solche Muster gebe, man könne aber auch nicht alle Polizisten unter Generalverdacht stellen.

Der nächste Funkruf kommt rein. Ein Mann belästige mit wirren Predigen die Pendler. Silvio und seine Kollegen rennen los und führen den Mann ab. Weshalb sind Bahnhöfe solche Hotspots?

Wenn man jemanden sucht, um sich zu prügeln, findet man an einem Bahnhof immer ein Opfer.
Autor: Prof. Dr. Dirk Baier ZHAW Institut für Delinquenz und Kriminalprävention

Kriminologe Dirk Baier zählt gleich mehrere Gründe auf. Zum einen sind Bahnhöfe Durchgangsorte, bei denen verschiedenste Gruppen aufeinandertreffen. Zudem seien Lokale und Läden fast immer geöffnet. Es läuft etwas – salopp gesagt, «wenn man jemanden suche, um sich zu prügeln, findet man an einem Bahnhof immer ein Opfer».

Vier Polizisten am Hauptbahnhof Zürich.
Legende: Vor allem am Wochenende, wenn auch mehr Alkohol und Drogen konsumiert werden, steige das Gewaltpotential an Bahnhöfen. SRF

Am heutigen Abend passiert dies bis zur späten Stunde nicht. Mittlerweile an der Hardbrücke, zeigt die Transportpolizei weiter hauptsächlich Präsenz. Bis der Funkspruch kommt: Der nächste Einsatz wartet bereits.

«SRF Impact»

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Legende: SRF

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SRF Virus, 20.06.2024, 9 Uhr

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