Das europäische Kernforschungszentrum Cern reagiert auf den Ukrainekrieg und beendet Ende November seine Beziehungen zu Russland. Rund 500 russische Forschende sind betroffen. Der Rektor der ETH Zürich und Cern-Physiker Günther Dissertori bedauert den Schritt im «Tagesgespräch» ausserordentlich.
SRF News: Das Cern wird seine Zusammenarbeit mit Russland Ende November einstellen. Dies als Reaktion auf die «anhaltende illegale militärische Invasion Russlands in der Ukraine». Wie positionieren Sie sich dazu?
Günther Dissertori: Das war eine sehr schwierige Entscheidung im höchsten Gremium des Cern, soweit ich das vernommen habe. Ich bin allerdings der Meinung, dass wissenschaftliche Brücken in geopolitischen Konflikten die letzten sein sollten, die abgebrochen werden. Die Sprache der Wissenschaft ist universell, sie ändert sich nicht, wenn man über eine Landesgrenze geht. Daher sollten diese Brücken meiner Meinung nach so spät wie möglich, wenn überhaupt, abgebrochen werden.
Also kritisieren Sie den Entscheid, Russland auszuschliessen?
Ja, ich war mit dem Entscheid nicht glücklich. Ich kann ihn nachvollziehen und verstehe auch die Positionen der Länder, die sich besonders dafür eingesetzt haben. Aber persönlich hätte ich eine andere Lösung bevorzugt.
Man spricht von etwa 500 Forschenden, die nun nicht mehr am Cern arbeiten können. Sie sind in vielen Bereichen sehr aktiv involviert.
Welche Auswirkungen hat der Ausschluss Russlands auf den Betrieb am Cern?
Es wird viel Know-how verloren gehen. Es gibt sehr viele russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die teilweise seit vielen Jahren am Cern in Genf tätig sind. Man spricht von etwa 500 Forschenden, die nun betroffen sind und nicht mehr am Cern arbeiten können. Diese sind in vielen Bereichen der Forschungsarbeit sehr aktiv involviert. Diesen Verlust muss das Cern erst noch verkraften.
Es gibt also ein Ende der Kooperation mit Russland. Trotzdem bleibt eine kleine Zusammenarbeit zwischen dem Cern und einem Forschungsinstitut in der Nähe von Moskau (JINR) bestehen, was nun wiederum von ukrainischen Forschenden kritisiert wird.
Ich kann die Kritik der ukrainischen Forschenden nachvollziehen. Seien wir ehrlich: Wir können uns in unserer sicheren Position hier in der Schweiz nicht wirklich in die schwierige Lage ukrainischer Forscherinnen und Forscher hineinversetzen. Aber ich versuche, das zu verstehen. Trotzdem denke ich, dass es vielleicht ein guter Schritt war, dieses russische Forschungsinstitut, das etwas internationaler aufgestellt ist, speziell zu behandeln.
Diese Woche feiert das europäische Kernforschungszentrum in Genf sein 70-jähriges Bestehen. Was ist für Sie besonders am Cern?
Das Cern ist natürlich ein Leuchtturm der internationalen Spitzenforschung. Es ist unter anderem deshalb ein Leuchtturm, weil es Forschenden aus aller Welt die Gelegenheit bietet, zusammenzukommen. Dieses Miteinander führt zu grossartigen wissenschaftlichen Erfolgen. Es braucht die Zusammenarbeit der besten Köpfe, um diese Erfolge zu erzielen. Auch deswegen kann ich das Ende der Kooperation mit Russland nicht ganz nachvollziehen.
Das Gespräch führte David Karasek.