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Todkrank – und von der Krankenkasse im Stich gelassen
Aus 10 vor 10 vom 01.02.2023.
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Teures Krebsmedikament Die tragische Geschichte einer Krebskranken

Man rechnet nicht damit – und dann ist er plötzlich da. Krebs. Hierzulande erkrankt mehr als jeder fünfte Mensch vor seinem 70. Geburtstag daran. Wie ist es, todkrank zu sein und nicht zu wissen, ob man ein Krebsmedikament bekommt? Eine Krebspatientin erzählt.

Sarah Siksou ist 46 Jahre alt – und krebskrank. 15 Chemotherapiezyklen hat sie hinter sich. Sie braucht eine Pause. Ihr Arzt setzt die Hoffnung ist das Medikament Tibsovo des französischen Pharmaunternehmens Servier.

Eine Medikamentendose «Tibsovo» mit zwei blauen Tabletten befinden sich auf einem Buch.
Legende: Dieses Medikament war für Sarah Siksou Fluch und Segen zugleich. Deborah Schlatter

Das Medikament ist in der Schweiz allerdings noch nicht zugelassen. Siksous Arzt stellt ein Kostengutsprachegesuch an die Krankenkasse. Diese prüft es und lehnt eine Kostenübernahme ab. Darüber ist Siksou empört: «Es kann doch nicht sein, dass sich meine therapeutische Option wegen der Profitgier der einen oder anderen in Luft auflöst.»

Auf eigene Faust

Nach Absage der Krankenkasse richtet sie sich – mithilfe ihres Anwalts und ihren Ärzten – schliesslich direkt an Hersteller Servier. Gemeinsam konnten sie aushandeln, dass Siksous Medikamententherapie jeden zweiten Monat gratis ist. Für 25'000 Franken jeden zweiten Monat müsse sie selbst aufkommen.

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Siksou ironisch: «25'000 Franken – ein wahres Schnäppchen»
Aus News-Clip vom 01.02.2023.
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Sarah Siksou erhielt das Medikament erst im Herbst des letzten Jahres und musste bisher noch nichts bezahlen. Ob es bei ihr auch anschlägt, weiss sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

So gross wie eine Grapefruit

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Sarah Siksou stand eigentlich noch mitten im Leben, als sie im Juni 2021 die Diagnose Krebs erhält. Ein sehr seltener Tumor so gross wie eine Grapefruit befiel ihre Leber.

Helsana, die Krankenkasse von Sarah Siksou, schreibt auf Anfrage, es sei ein tragischer Fall. Helsana erhalte jährlich über 6000 solcher Anfragen, welche in 80 bis 90 Prozent entweder sofort gutgeheissen oder einen Therapieversuch ermöglichen würden.

«Eine Ablehnung erfolgt nur dann, wenn die gesetzlich geforderten Kriterien nicht erfüllt sind», so die Krankenkasse. Gegenüber Sarah Siksou sagt sie, dass der Preis zu hoch und der Nutzen des Medikaments zu klein sei.

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Wampfler: «Unnötiger Stress und eine traurige Zusatzbelastung»
Aus News-Clip vom 01.02.2023.
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Julian Wampfler vom Inselspital Bern ist der Onkologe von Sarah Siksou. Viele seiner Patientinnen und Patienten seien auf Medikamente angewiesen, die noch nicht zugelassen sind.

Das Beantragen von Kostengutsprachen gehöre zu Wampflers Alltag und erfordere Zeit. Das ist «sehr störend», vor allem für Kranke wie Siksou, deren Lebenszeit limitiert ist.

Darum hat der Arzt das Medikament doch verschrieben

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Wieso hat Julian Wampfler dieses Medikament, das in der Schweiz nicht zugelassen ist und bei dem nicht klar ist, ob es wirkt, überhaupt verschrieben? «Wir wissen nicht, ob es nicht wirkt», sagt der Onkologe. Aber es gebe eine Studie, die zeige, dass das Medikament einen gewissen Nutzen hat. Aufgrund dieser Daten sei es in den USA zugelassen.

Ist ein Medikament in der Schweiz nicht zugelassen, aber lebenswichtig, kommt Artikel 71 der Krankenversicherungsverordnung zum Zug. Dieser verpflichtet die Krankenkasse dennoch, eine Kostenübernahme zu prüfen.

Konkret stellt ein Arzt eine Kostengutsprache an die Krankenkasse. Ein oder mehrere Vertrauensärzte der Krankenkassen prüfen das Gesuch auf Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit und versuchen, mit der Herstellerfirma des Medikaments einen Preis auszuhandeln. In vielen Fällen kommt es zuerst zu einem sogenannten Therapieversuch, in dem die Pharmafirma das Medikament für einige Monate gratis zur Verfügung stellt. Hilft es, übernimmt die Krankenkasse die Kosten.

Darum bekam Siksou kein Geld von der Krankenkasse

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Gemäss dem Artikel 71 der Krankenversicherungsverordnung werden grundsätzlich keine Medikamente vergütet, die die Zulassung von der Schweizerischen Arzneimittelbehörde Swissmedic nicht haben.

Es sei denn, diese sind auf der sogenannten «Spezialitätenliste» aufgeführt – das ist beim Krebsmedikament Tibsovo nicht der Fall – oder es werden bestimmte Bedingungen erfüllt. Dabei müssen alle folgenden Bedingungen gleichzeitig erfüllt sein:

  1. Die Krankheit verläuft tödlich oder kann chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen.
  2. Vom Einsatz des Medikaments wird ein grosser therapeutischer Nutzen erwartet.
  3. Es fehlt eine wirksame und zugelassene Alternative.
  4. Der therapeutische Nutzen muss in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten stehen.

Bei Siksou war Punkt zwei und vier nicht erfüllt. Die Behandlung sei laut ihrer Krankenkasse nicht wirtschaftlich und zu wenig wirksam.

Im Falle von Sarah Siksou konnten sich Krankenkasse und Servier weder auf einen Preis noch auf einen Therapieversuch einigen. Die Herstellerfirma Servier schreibt auf Anfrage: «Servier kommuniziert nicht zu Preisen von Produkten, die nicht in der Schweiz registriert sind.»

Für Siksous Arzt ist ihr Fall besonders stossend. Denn, dass eine schwerkranke Patientin direkt mit der Pharmafirma verhandelt, sei aussergewöhnlich. Nicht alle Leute hätten die Energie und die Möglichkeit, sich so für sich einzusetzen. «Aber schlussendlich ist die Situation ein Resultat von den geltenden Rahmenbedingungen», so Wampfler.

Revision des Bundesrates

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In der Vergangenheit kam es immer wieder dazu, dass Krankenkassen vergleichbare Fälle unterschiedlich beurteilt hatten.
Der Bundesrat will unter anderem darum die Rahmenbedingungen durch eine Revision des Artikels 71 der Krankenversicherungsverordnung ändern. Das Ziel ist rechtsgleicher Zugang zu Medikamenten. Die Krankenkasse soll nur noch Medikamente bezahlen, zu denen klinisch kontrollierte Studien vorliegen. 

Über 20 Organisationen im Gesundheitswesen kritisieren dieses Vorhaben. Sie schreiben: Als Konsequenz würden diese Medikamente gar nicht mehr bezahlt werden.

Das Hin und Her mit der Krankenkasse und der Pharmafirma hat Sarah Siksou viel Energie gekostet, wie sie selbst sagt: «Das finde ich sehr frustrierend. Es ist ein Einzelkampf. Wenn man den nicht selber führt, dann führt ihn niemand.»

In Gedenken an Sarah Siksou

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Legende: Siksou

Sarah Siksou ist am 7. Dezember an Leberversagen verstorben. Bis zuletzt hat sie gekämpft – für sich, aber auch für andere.

10vor10, 01.02.2023, 21:50 Uhr ; 

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