Rekordhitze in Kanada, Waldbrände in Kalifornien und im Mittelmeerraum, Flutkatastrophe in Westdeutschland: Auch wenn nicht alles auf die Klimaerwärmung zurückzuführen sein mag, steigt doch die Wahrscheinlichkeit solcher Naturkatastrophen mit der zunehmenden Erderwärmung. Darum sagt Marie-Claire Graf von der Klima-Allianz Schweiz: «Aufgrund der hohen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Relevanz müsste die Klimakrise täglich auf den Titelseiten sein.»
Als die Pandemie einschlug, hat sie das Klima abrupt aus der Öffentlichkeit verdrängt.
Doch das war sie kaum je in den letzten zwei Jahren. Seit Ausbruch der Pandemie habe Corona die Schweizer Medienberichterstattung dominiert, sagt der Medienwissenschaftler Dario Siegen von der Universität Zürich. Er hat die Berichterstattung untersucht.
Medienforschungsinstitut der Universität Zürich
«Themen kämpfen stetig um begrenzte Aufmerksamkeit in den Medien und im Publikum.» Das Klimathema sei vor der Pandemie sehr dominant gewesen. «Es hat auch die Wahlen 2019 dominiert. Doch als die Pandemie einschlug, hat sie das Klima abrupt aus der Öffentlichkeit verdrängt. Unsere Berechnungen stellen einen massiven Einfluss des Virus auf die mediale Aufmerksamkeit für den Klimawandel fest.»
Mehr Artikel zu Corona als zum Klima
Auch gegen Ende 2021 haben die Schweizer Medien im Wochenschnitt noch immer mindestens doppelt so oft über das Coronavirus berichtet wie über das Klima. Sogar während der UNO-Klimakonferenz in Glasgow im November blieb Corona das dominante Thema.
Das enorme Volumen an Tweets zu Covid, das wir auch gemessen haben, zeigt, dass nicht nur Journalistinnen und Journalisten das Thema priorisieren.
Zu viel Corona also? Nicht unbedingt, meint Siegen, und macht dies an zwei Beispielen fest. «Das enorme Volumen an Tweets zu Covid, das wir auch gemessen haben, zeigt, dass nicht nur Journalistinnen und Journalisten das Thema priorisieren. Und auch die hohe Stimmbeteiligung bei den beiden Abstimmungen zum Covid-Gesetz lese ich als Hinweis, dass das Interesse seitens der Bevölkerung durchaus da ist.» Und doch:
Gelegentlich wird es auch den Medienschaffenden selbst zu viel.
Ich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben mehr als die Nase voll von dem Thema.
Gaudenz Looser, Chefredaktor von «20 Minuten», sagt ganz offen: «Ich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben mehr als die Nase voll von dem Thema. Ich habe mehrfach interveniert, weil ich nicht jeden Tag jede noch so kleine Variable dazu diskutiert haben möchte.» Er wünsche sich ein vielfältigeres Nachrichtenangebot. Doch Corona sei halt wichtig.
Das Publikumsinteresse für das Thema sei riesig. «Es steht mit grossem Abstand zuoberst», so Looser. «Die Livestreams gehen jedes Mal durch die Decke, alle hängen den Politikern und Experten an den Lippen, weil der Impact dieser Krise unmittelbar spürbar ist, jeden Tag, für alle.»
Lösungsansätze im Vordergrund
Man könne das nicht ignorieren, findet Looser. Deshalb habe «20 Minuten» auf das Bedürfnis nach gesicherten Informationen reagiert: «Wir haben seit ein paar Monaten einen täglichen Faktencheck, in dem wir die schlimmsten Fehlbehauptungen, die kursieren, widerlegen.» Zudem weist «20 Minuten» unter seinen Corona-Artikel auf Hilfsangebote hin.
Solches sei wichtig, betont auch die Sprecherin der Klima-Allianz. Und sie übt deshalb nicht nur Kritik an den Medien. Faktenchecks, Service-Beiträge, Diskussionsforen: «Da haben die Medien meiner Meinung nach gute Arbeit geleistet und die Lösungen in den Vordergrund gerückt, wie wir als Gesellschaft diese Krise gemeinsam meistern können.»
Daraus sollten die Medien nun Lehren ziehen, hofft Marie-Claire Graf: Indem sie auch bei anderen Themen nicht nur Probleme und Konflikte aufzeigten, sondern auch gute Beispiele präsentierten für Lösungsansätze und zur gesellschaftlichen Verständigung.