Die Ausgangslage: Wer Ware aus dem Ausland in die Schweiz einführt, muss grundsätzlich Schweizer Mehrwertsteuer bezahlen. Nicht so, wenn der Warenwert weniger als 300 Schweizer Franken beträgt. Diese Grenze gilt pro Tag und wird auch Wertfreigrenze genannt. Laut Recherchen des «Tagesanzeigers» will der Bund diese nun auf 150 Franken senken und so den Einkaufstourismus weniger attraktiv machen. Dieser gerät immer wieder in Verruf, weil Geld aus der Schweiz ins nahe Ausland fliesst und so dem inländischen Detailhandel schadet. Bei Postsendungen liegt der Grenzwert schon heute tiefer, nämlich bei 65 Franken.
Verursachter Schaden und Entwicklung: Eine Studie der Universität St. Gallen schätzte den letztjährigen Schaden für den Schweizer Detailhandel durch Einkaufstourismus auf 8.5 Milliarden Franken. Die Schadenssumme ist laut der Studie leicht rückläufig, 2017 hatte sie noch 9.05 Milliarden betragen. Bei den stationären Geschäften sei ein Rückgang von zehn Prozent zu beobachten, der auch vom um 20 Prozent wachsenden Online-Einkaufstourismus nicht kompensiert werden könne, weil dieser kleiner ist. Eine jüngste Analyse der Swiss Retail Federation geht ebenfalls von einem jährlichen Schaden von 8.5 Milliarden Franken für den hiesigen Detailhandel aus.
Kampf gegen den Einkaufstourismus: Die Wertfreigrenze anzugreifen, ist keineswegs eine neue Idee. Speziell die Grenzkantone sprechen sich immer wieder für eine Senkung oder Abschaffung der Grenze aus. Im Moment sind in den eidgenössischen Räten auch mehreren Standesinitiativen hängig, so auch eine aus dem Kanton Thurgau. Diese fordert, dass bei sämtlichen Einfuhren die Mehrwertsteuer zu entrichten sei, sofern die ausländische Mehrwertsteuer zurückgefordert werde. Für die Uni St. Gallen eine sinnvolle Massnahme: Die Studie kommt zum Schluss, dass bei einer Wertfreigrenze von 50 Franken der Einkaufstourismus um 33 Prozent zurückgehen würde.
Argumente gegen die Senkung: Die Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz Sara Stalder hält nichts von einer Reduktion: «Das ist Symptombekämpfung.» Die Senkung werde sehr viel Bürokratie mit sich bringen, die Verwaltung stark belasten und den Einkaufstourismus nicht eindämmen, glaubt Stalder. «Im dümmsten Fall bringt es mehr Verkehr.» Dies, weil die Leute dann einfach öfters einkauften, weil sie die Wertfreigrenze nutzen wollten. Für Stalder ist die Lösung eine andere: Die Preise von Importprodukten senken. Denn sobald diese in die Schweiz kämen, seien sie plötzlich mirakulös teurer als im Ausland. Sie macht die hohen Margen in der Schweiz dafür verantwortlich. Die Detailhändler müssten deshalb jetzt die Preise korrigieren. «Dann würde es sofort weniger Einkaufstourismus geben.»
Argumente für die Senkung: Der ehemalige Nationalrat Kurt Egger, auch die treibende Kraft hinter der Thurgauer Standesinitiative, befürchtet bei einer tieferen Wertfreigrenze kein grösseres Verkehrsaufkommen. «Es ist doch immerhin ein Aufwand.» Die Fahrt ins Ausland koste immer einen halben Tag. Wahrscheinlich werde es einige wenige in Grenznähe geben, die öfters im Ausland einkaufen, aber insgesamt werde sich die Anzahl der Einkaufstouristen reduzieren, schätzt Egger. Zudem ist die Steuergerechtigkeit ein Hauptanliegen Eggers: Entweder müsse in Deutschland oder in der Schweiz Mehrwertsteuer bezahlt werden, der Staat sei auf diese angewiesen. Da diese in Deutschland höher sei als in der Schweiz, geht Egger davon aus, dass sich die meisten für die Schweizer Steuer entscheiden würden.