Rein diplomatisch betrachtet sind sich die Schweiz und die Nato heute nähergekommen. Mit Bundesrätin Viola Amherd nahm zum ersten Mal überhaupt die Spitze des Schweizer Verteidigungsdepartements an einem Treffen des Nordatlantikrats teil, also jenes Gremiums am Nato-Hauptsitz in Brüssel, in dem die Vertreter und Vertreterinnen der 30 Nato-Staaten die wichtigsten Beschlüsse fassen.
Doch so historisch der Besuch rein diplomatisch gewesen sein mag, in der Sache liegen die Schweiz und die Nato weiter weit auseinander. Amherds Visite stand im Zeichen von Meinungsverschiedenheiten. Die Bundesrätin musste immer wieder auf die eidgenössische Gesetzgebung hinweisen, welche die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen und Munition an Staaten im Krieg verbietet – also auch aus Nato-Staaten an die Ukraine.
Wenig Verständnis für die Schweiz
Dafür gibt es in der Nato wenig Verständnis. «Wir fordern auch die Schweiz auf, zumindest die Wiederausfuhr von Munition und Waffen an die Ukraine zuzulassen, denn hier geht es nicht um Neutralität», sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Interview mit SRF. Mit anderen Worten: Auch als neutraler Staat könne die Schweiz die Wiederausfuhr von Waffen und Munition erlauben, findet die Nato; neutralitätsrechtlich wäre nur die Direktausfuhr ein Problem.
Der Botschafter der USA in der Schweiz, Scott Miller, sagte kürzlich der «NZZ», die Schweiz sei angesichts der Neutralitätsdebatte in der «schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg».
Doch damit stossen die Nato-Staaten wiederum in der Schweiz auf wenig Verständnis. Zumindest auf nicht genug Verständnis, um das Parlament von einer Lockerung der Kriegsmaterialpraxis zu überzeugen. Entsprechende Vorstösse im Nationalrat sind gescheitert, und der Ständerat hat die Frage auf die lange Bank geschoben. Frühestens im Juni soll wieder darüber debattiert werden.
Annäherung an die Nato
Ungeachtet dessen will die Schweiz die Zusammenarbeit mit der Nato vorantreiben. Der Bundesrat hat sich dies zum Ziel gesetzt. Glaubt man einer neuen Studie der ETH, befürwortet erstmals auch eine Mehrheit von 55 Prozent der Schweizer Bevölkerung eine Annäherung. Diese könnte zum Beispiel gemeinsame Massnahmen zur Abwehr von Cyberattacken beinhalten, bis hin zur Teilnahme der Schweiz an grossen Manövern.
Tatsächlich betonte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, er selbst sei offen für eine Teilnahme an Nato-Übungen aller Art. Doch zustimmen müssten auch die Nato-Staaten – wovon einige angesichts der Differenzen bei der Kriegsmaterialausfuhr auf der Bremse stehen.
Kurzum, der Wille für eine deutlich engere Zusammenarbeit wird von beiden Seiten hervorgehoben. Doch solange die Schweiz an ihrer Kriegsmaterial-Gesetzgebung festhält, ist ein Weg dorthin nur schwer vorstellbar.